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Studienübersicht

Diabetes Typ 1 nach Coronavirus-Infektion – Gibt es wirklich einen Zusammenhang?

Studien zeigen, dass seit der Coronavirus-Pandemie jährlich mehr Kinder und Jugendliche an Typ-1-Diabetes erkrankten als erwartet. Ob jedoch eine Coronavirus-Infektion und das Risiko für Typ-1-Diabetes in einem direkten Zusammenhang miteinander stehen, ist bislang nicht geklärt. Möglich ist auch, dass indirekte Auswirkungen der Pandemie zu dem Anstieg geführt haben. Im Folgenden geben wir Ihnen einen Überblick über die Ergebnisse von 2 aktuellen Studien zu dieser Thematik und zeigen Ihnen auf, warum manche Berichte und Studienergebnisse mit Vorsicht zu lesen sind.

 

Anstieg der Neuerkrankungen an Diabetes Typ 1 während der Coronavirus-Pandemie 

Bereits vor der Coronavirus-Pandemie – zwischen den Jahren 2011 und 2019 – sind die Neuerkrankungen von Typ-1-Diabetes jährlich konstant um etwa 2,4 Prozent angestiegen. Aktuelle Studien zeigen nun, dass während der Coronavirus-Pandemie deutlich mehr Kinder und Jugendliche neu an Typ-1-Diabetes erkrankt sind, als dies ursprünglich erwartet wurde. Schon vor der Pandemie waren die Gründe für den konstanten Anstieg unklar. Forschende gehen aber seit einiger Zeit davon aus, dass Virusinfektionen mit der Entwicklung von Autoimmunerkrankungen wie Typ-1-Diabetes einhergehen könnten. Durch den zusätzlichen Anstieg an Typ-1-Diabetes-Neuerkrankungen rückt nun die Frage in den Fokus, ob die Coronavirus-Pandemie tatsächlich mit den zusätzlichen Neuerkrankungen zusammenhängt.

 

Sind Viren Auslöser für Diabetes Typ 1? 

Seit einigen Jahren wird diskutiert und erforscht, ob Viren mögliche Auslöser für die Typ-1-Diabetes-Entwicklung sind. Forschende gehen bisher davon aus, dass zwischen einer Virus-Erkrankung und dem Ausbruch des Typ-1-Diabetes einige Zeit vergeht. Dies ist darauf begründet, dass bereits viele Jahre vor dem Ausbruch des Diabetes Autoantikörper im Blut nachweisbar sind, die auf ein erhöhtes Typ-1-Diabetes-Risiko hinweisen. Selten – und insbesondere im Zusammenhang mit Virusinfektionen – kommt es aber auch vor, dass bei Personen mit neu aufgetretenem Typ-1-Diabetes keine typischen Autoantikörper vorhanden sind. Ärztinnen und Ärzte sprechen in diesem Fall von dem sogenannten fulminanten Typ-1-Diabetes. Dieser Subtyp wurde bisher vor allem im asiatischen Raum diagnostiziert.

Autoantikörper richten sich gegen die eigenen Körperzellen und lösen dadurch eine Entzündung aus. Bei der Autoimmunerkrankung Typ-1-Diabetes zerstören sie die insulinproduzierenden Betazellen der Bauchspeicheldrüse. Die entsprechenden Autoantikörper lassen sich meist lange bevor die ersten Krankheitsanzeichen auftreten im Blut nachweisen.

 

Forschende der US-Gesundheitsbehörde CDC legen Zusammenhang nahe 

Forschende der amerikanischen Gesundheitsbehörde CDC (engl.: Center for Disease Control and Prevention) gingen nun der Frage nach, ob Personen mit überstandener Coronavirus-Infektion häufiger einen Diabetes entwickeln. Hierzu untersuchten sie Daten von über 500.000 Patientinnen und Patienten aus 2 Datenbanken, die zu unterschiedlichen Ergebnissen führten. Bei beiden Datenbanken war das Risiko, an Diabetes zu erkranken höher für Personen mit Coronavirus-Infektion, als für Personen ohne Infektion. Bei der Auswertung ergab sich jedoch bei der einen Datenbank ein um 166 Prozent erhöhtes Diabetes-Risiko, während die andere Datenbank ein um 31 Prozent erhöhtes Risiko abbildete.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Studie schließen auf einen Zusammenhang zwischen einer Coronavirus-Infektion und einer anschließenden Diabetes-Erkrankung. 

Fachkreise aus Deutschland kritisieren das Fazit der amerikanischen Forschenden. Sie weisen auf gravierende methodische Mängel in der Studie hin, die die Ergebnisse abschwächen. Da die Ergebnisse der 2 Datenbanken sehr stark voneinander abweichen, kann daraus kein eindeutiges Fazit resultieren. Zudem wird in der Studie nicht zwischen Typ-1- und Typ-2-Diabetes unterschieden, obwohl die beiden Stoffwechselerkrankungen sehr unterschiedliche Ausprägungen haben. Auch bedacht werden muss, dass Typ-2-Diabetes bei der jüngeren amerikanischen Bevölkerung eine wesentlich größere Rolle spielt als in Europa. Typ-2-Diabetes kommt in Amerika unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen häufiger vor als in Deutschland. Aus diesem Grund lassen sich die Daten aus den USA nicht einfach auf die deutsche Bevölkerung übertragen. 

 

Europäische Studie zeigt keinen ursächlichen Zusammenhang 

Eine Studie in Europa zeigt ebenfalls einen deutlichen Anstieg der Typ-1-Diabetes-Neuerkrankungen während der Coronavirus-Pandemie. Dafür wurde ein Diabetesregister mit Daten von 5.162 Kindern und Jugendlichen ausgewertet. Dabei fiel den Forschenden auf, dass es jeweils 3 Monate nach einer Coronavirus-Welle zu einem Anstieg von neudiagnostizierten Typ-1-Diabetes-Erkrankungen gekommen ist.  

Dieses Ergebnis ist selbst für die Forschenden überraschend. Denn nur wenn die insulinproduzierenden Betazellen der Bauchspeicheldrüse durch die Coronavirus-Infektion direkt angegriffen würden, wäre der kurze Abstand von 3 Monaten bis zum Ausbruch des Typ-1-Diabetes zu erklären.

Dagegen spricht jedoch, dass nach wie vor die meisten Kinder bei der Diagnose Typ-1-Diabetes Autoantikörper im Blut vorliegen haben. Auch wird nicht vermutet, dass der fulminante Typ-1-Diabetes mit dem Anstieg zu tun hat. Der Subtyp tritt zwar oft im Zusammenhang mit einer Virusinfektion, jedoch ohne die typischen Autoantikörper und insgesamt nur selten, auf. Dagegen spricht zudem, dass in der ersten Coronavirus-Welle, nach der die meisten zusätzlichen Typ-1-Diabetes-Erkrankungen auftraten, nur ein sehr geringer Anteil der Kinder mit dem Coronavirus infiziert war.

Das erhöhte Erkrankungsrisiko könnte aber auch mit den Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zusammenhängen. Durch den Lockdown und die soziale Distanzierung erkrankten Kleinkinder in den ersten Lebensjahren seltener an Infektionen. Diese hätten sehr wahrscheinlich zum Schutz vor Autoimmunerkrankungen, wie dem Typ-1-Diabetes, beigetragen. Eine weitere Theorie der Forschenden ist, dass das erhöhte Stresslevel der Kinder während der Pandemie zu einem höheren Erkrankungsrisiko für Typ-1-Diabetes führen könnte.  

 

Fazit aus deutschen Fachkreisen 

Letztlich betonen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der europäischen Studie, dass sich aus den Ergebnissen kein ursächlicher Zusammenhang ableiten lässt. Als Grund für den Anstieg werden eher indirekte Folgen der Pandemie sowie andere Umwelteinflüsse vermutet und weniger ein direkter Zusammenhang zwischen einer Coronavirus-Infektion und dem späteren Auftreten eines Typ-1-Diabetes. 

In jedem Fall sind weitere Langzeitstudien notwendig, um die Gründe für den beschleunigten Anstieg der Typ-1-Diabetes-Neuerkrankungen zu verstehen. 

 

Quellen: 

Aerzteblatt online: COVID-19: Inzidenz des Typ-1-Diabetes steigt 3 Monate nach einer Erkrankungswelle an. Artikel vom 21.01.2022 

Barrett, C. E. et al.: Risk for Newly Diagnosed Diabetes >30 Days After SARS-CoV-2 Infection Among Persons Aged <18 Years — United States, March 1, 2020–June 28, 2021. In: NMWR Morb Mortal Wkly Rep, 2022, 71: 59-65 

Deutsche Diabetes Gesellschaft: Deutsche Diabetes Gesellschaft zweifelt an US-Studie zu Häufigkeit von Diabetes bei Kindern nach COVID-19-Infektion. Pressemeldung vom 26.01.2022 

Hollstein, T. et al.: Autoantibody-negative insulin-dependent diabetes mellitus after SARS-CoV-2 infection: a case report. In: Nat Metab, 2020, 2: 1021-1024

Kamrath, C. et al.: Incidence of Type 1 Diabetes in Children and Adolescents During the COVID-19 Pandemic in Germany: Results From the DPV Registry. In: Diabetes Care, 2022 (online) 

Song, S. O. et al.: Prevalence and clinical characteristics of fulminant type 1 diabetes mellitus in Korean adults: A multi-institutional joint research. In: J Diabetes Investig, 2021, 13: 47-53