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Wie wirken Ernährung und Gene bei der Entstehung von Diabetes zusammen?

Wissenschaftliche Unterstützung: Prof. Dr. Annette Schürmann

Menschen verarbeiten Nahrungsmittel unterschiedlich, abhängig von ihren Genen - und ihre Ernährung wirkt wiederum darauf ein, welche Erbanlagen aktiviert werden. Dies ist die Grundannahme der Nutrigenomik. Diese Wissenschaftsrichtung soll es ermöglichen, auf den einzelnen Menschen zugeschnittene Ernährungsempfehlungen zu entwickeln. Das Ziel ist es, die Behandlung und Vorbeugung von Stoffwechselerkrankungen zu verbessern.

Ob ein Butterbrot das Diabetes-Risiko erhöht oder nicht, hängt nicht nur vom Brot selbst ab – sondern auch von den Erbanlagen des Menschen, der es isst. Das ist, vereinfacht gesagt, die Grundannahme der Nutrigenomik. Forschende dieser Fachrichtung gehen davon aus, dass individuelle genetische Ausprägungen steuern, wie unser Stoffwechsel auf Nahrung reagiert. Und dass die Nahrung wiederum auf unser Erbgut (Genom) einwirkt. Die Folge: Eine Ernährungsweise, die für die eine Person gesund ist, erhöht bei einer anderen möglicherweise das Diabetes-Risiko.

Bislang stehen vor allem die ernährungsbedingten Erkrankungen Fettleibigkeit (Adipositas), metabolisches Syndrom und Typ-2-Diabetes im Fokus der nutrigenomischen Forschung. Aber auch bei der Entstehung der Autoimmunerkrankung Typ-1-Diabetes sind Wechselwirkungen zwischen Erbanlagen und Nahrungsbestandteilen möglich.

Die Nutrigenomik verwendet Technologien von Genomik, also Genanalyse, Transkriptomik (Gesamtheit der messenger-RNA, die zu einem bestimmten Zeitpunkt von aktiven Genen in der Zelle erzeugt wird), Proteomik (Gesamtheit der Proteine, die zu einem bestimmten Zeitpunkt in einem Organismus bzw. in bestimmten Organen vorhanden sind) und Metabolomik (die Analyse aller charakteristischen Stoffwechseleigenschaften einer Zelle oder im Blutplasma).

Diabetesforschung: Ziele der Nutrigenomik in der Typ-2-Diabetesforschung

Forschende arbeiten an der Frage, in welcher Wechselwirkung Risikogene für Typ-2-Diabetes, Ernährung und Stoffwechsel miteinander stehen. Dafür müssen sie zunächst individuelle Genvarianten, also Risikogene, die für eine Erkrankung anfällig machen, identifizieren.

Anhand solcher Risikogene und weiterer Hinweise im Stoffwechsel könnten Forschende erkennen, welche Personen besonders gefährdet sind, Typ-2-Diabetes zu entwickeln. Diese könnten dann eine individuelle Ernährungstherapie und gezielte Lebensstilempfehlungen erhalten, abgestimmt auf Ernährungsstatus, Alter, Körperzusammensetzung, Bewegungslevel und Genom. Solche Strategien könnten in Zukunft vielleicht Vorbeugung und Behandlung von Typ-2-Diabetes unterstützen.

Gut zu wissen:

Genvarianten sind dafür verantwortlich, welche Antworten der Stoffwechsel auf die jeweilige Nahrung gibt.

Wie können Genvarianten das Körpergewicht beeinflussen?

Ein erhöhtes Körpergewicht ist meist polygen bedingt, das heißt, dass mehrere veränderte Gene in unterschiedlicher Kombination Einfluss nehmen. Mit Hilfe groß angelegter bevölkerungsweiter Studien, sogenannter GWAS (genome-wide association studies) wurden bisher zwischen 200 und 300 Gene beziehungsweise Stellen im Genom entdeckt, die mit Adipositas oder Typ-2-Diabetes in Verbindung gebracht werden.

Es scheint zudem, dass nicht ein und dieselbe Diät für alle Menschen gleich wirksam ist, um schlank zu bleiben. Forschende haben bereits einige Genvarianten entdeckt, die beeinflussen, welche Ernährungs- und Lebensweise für wen besonders hilfreich ist. Diese steuern beispielsweise, wie stark jemand durch die Aufnahme von Fetten zunimmt, oder ob eine Person effektiver durch eine Ernährungsumstellung oder aber durch Sport abnimmt. Das wichtigste Adipositasgen ist FTO und Personen, die eine Risikovariante tragen, sind schwerer. Dem können sie jedoch durch Sport und eine reduzierte Nahrungsaufnahme entgegenwirken. Exemplarisch greifen wir hier einige Beispiele für Wechselwirkungen von Risikogenen und der Ernährung heraus.

Das Zusammenspiel von Zucker und Fett in der Leber

Ein Beispiel betrifft die Zuckerproduktion der Leber. Sie steigt mit der Menge freier Fettsäuren, die man über die Nahrung aufnimmt. Produziert die Leber jedoch mehr Zucker als nötig, stört dies auch den Zuckerstoffwechsel. Ein Forschungsteam hat eine Genvariante für ein Protein der Leber gefunden, welches freie Fettsäuren bindet und die Zuckerproduktion beim Menschen steuert.

Je nachdem, welche Genvariante ein Mensch für dieses Protein hat, reagiert er auf freie Fettsäuren stark – mit einer deutlichen Zuckerproduktion, oder eben nicht so stark. In der Folge nimmt er offenbar mehr oder weniger zu und hat entsprechend ein genetisch bedingt höheres oder niedrigeres Diabetes-Risiko. Diese Genvariante ist sicherlich aber nur ein Faktor in einem multifaktoriellen Geschehen, wie das nachfolgende Beispiel zeigt.

Nutrigenomik eignet sich bestens zur Erforschung der Mechanismen, die bei der Entstehung von Typ-2-Diabetes ablaufen. So sind inzwischen mehrere Genvarianten bekannt, die das Risiko für Typ-2-Diabetes erhöhen und durch Ernährung getriggert werden können. Entsprechend ihrer genetischen Ausstattung (dem Vorhandensein von bestimmen Polymorphismen, also kleinen Veränderungen im Genom) verstoffwechseln Personen Fette, Kohlenhydrate und Folate unterschiedlich.

Das entzündungsfördernde Zytokin Interleukin-6 (IL-6) etwa lässt den Cortisol-Gehalt im Blut ansteigen, was wiederum eine Insulinresistenz begünstigt. Cortisol ist als Stresshormon bekannt, spielt aber auch eine Rolle bei der Regulation des Energiehaushalts. Für IL-6 haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler genetische Varianten gefunden, die das Diabetes-Risiko erhöhen. Was hat nun die Nahrung damit zu tun? Nahrungsbestandteile, darunter gesättigte Fettsäuren, können die Produktion dieses Zytokin IL-6 ankurbeln und auf diese Weise die Insulinresistenz fördern.

 

Die Gene PNPLA3, TM6SF2, GCKR und MBOAT7 sind die wichtigsten, die zur Fettleberentstehung beitragen. PNPLA3 kodiert ein Enzym, das ungesättigte Fettsäuren abbaut, ein Prozess, der bei Vorliegen einer genetischen Variante eingeschränkt ist. Studien zeigten, dass Personen mit der Mutation von einer Diät reich an omega-3-Fettsäuren profitierten.

Es wurde auch beobachtet, dass Jugendliche, die das PNPLA3-Risikogen tragen, bereits bei geringem Konsum von gesüßten Getränken eine Fettleber entwickelten und dass auf der anderen Seite der Gemüseverzehr sie davor schützte. Der Glucokinase-Regulator GCKR spielt eine wichtige Rolle im Zuckerstoffwechsel und Varianten dieses Gens erhöhen indirekt die Aufnahme von Glukose in die Leber und steigern so die Fettsynthese.

Deshalb sollten Personen, die das Risikogen tragen, ihren Zuckerkonsum (Glukose und Fruktose) einschränken. MBOAT7 spielt auch im Fettstoffwechsel eine Rolle und Personen mit der Risikovariante profitieren von einer Kost, die wenige Kohlenhydrate sowie wenige gesättigte Fettsäuren enthält.

 

Einfluss der Gene auf die Fetteinlagerung

Ein anderes Gen, namens IFI16 (IFI202b bei der Maus), begünstigt die Fetteinlagerung. Es ist im Fettgewebe übergewichtiger Menschen auffallend aktiv. Eine erhöhte Aktivität des Gens scheint die Freisetzung eines Enzyms im Fettgewebe zu fördern, das wiederum für die Bildung von Kortisol verantwortlich ist. Es stimuliert außerdem die Fettzelldifferenzierung und hemmt die Umwandlung von weißen in braune Fettzellen, die den Vorteil haben, deutlich mehr Energie zu verbrennen.

Die Ergebnisse tragen dazu bei, die molekulare Regulation der Fettspeicherung besser zu verstehen und damit verbundene Krankheitsmechanismen aufzuklären, die an der Entstehung von Adipositas und Diabetes beteiligt sind.

Mit Sport, Vollkornbrot oder Vitaminen gegen Diabetes?

Das Gen TCF7L2 erhöht das Diabetes-Risiko deutlich, auch das für den Schwangerschaftsdiabetes. Es gibt mehrere Varianten dieses Gens: Trägerinnen und Träger einer bestimmten Variante profitieren vom Verzehr von Vollkornprodukten. Mit 50 Gramm Vollkornbrot auf dem täglichen Speisezettel haben sie ein über 10 Prozent niedrigeres Diabetes-Risiko. Menschen mit anderen Genvarianten könnten dagegen ihr Diabetes-Risiko effektiver verringern, wenn sie Sport treiben und dadurch ihr Gewicht regulieren.

Eine Reihe von Vitaminen hat bekanntermaßen antidiabetische Wirkung. So kann beispielsweise Vitamin D nicht nur direkt Einfluss auf die Funktion der Betazellen nehmen, sondern auch Gene beeinflussen, die ihrerseits die Betazellfunktion in der Bauchspeicheldrüse steuern. Dies sind nur einige Beispiele für zahlreiche Wechselwirkungen zwischen Nahrung und Genen.

Ziele der Nutrigenomik in der Typ-1-Diabetesforschung

Studien bei Kindern mit erhöhtem Typ-1-Diabetes-Risiko weisen darauf hin, dass die frühkindliche Ernährung die Entstehung von Inselautoimmunität und Typ-1-Diabetes beeinflusst. Inselautoimmunität bedeutet, dass Antikörper gebildet werden, die sich gegen Bestandteile der insulinproduzierenden Betazellen richten und auf eine Entstehung von Typ-1-Diabetes hinweisen.

Bisher gibt es jedoch widersprüchliche Ergebnisse bei der Frage, wie ein Wechselspiel zwischen Ernährungsfaktoren und Risikogenvarianten auf die Entstehung von Inselautoimmunität und Typ-1-Diabetes einwirkt.

Gibt es bald personalisierte Diäten, die sich an den Genen orientieren?

Die Untersuchung von Genvarianten und die Kenntnis ihrer Funktion und Reaktion auf verschiedene Bestandteile der Nahrung bietet die Möglichkeit, Menschen mit Risikovarianten individuelle Ratschläge für einen geeigneten Lebensstil und eine bessere Ernährung zu geben und ihnen zu sagen, von welcher Maßnahme sie am ehesten profitieren. Es wird aber wahrscheinlich unmöglich sein, sämtliche Genvarianten und deren Funktionen aufzuklären. Zudem können sich Genvarianten möglicherweise auch gegenseitig beeinflussen, was die Abläufe noch komplizierter macht.  

Studien am Mausmodell zeigen, dass die meisten Adipositas- und Diabetes-Gene nur im Zusammenspiel mit einer hochkalorischen Ernährung das Körpergewicht erhöhen.

Quellen:

Berná, G. et al.: Nutrigenetics and Nutrigenomics Insights into Diabetes Etiopathogenesis. In: Nutrients, 2014, 6: 5338-5369
Fisher, E. et al.: Whole-grain consumption and transcription factor-7-like-2 (TCF7L2): gene-diet interaction in modulating type 2 diabetes risk. In: Br J Nutr, 2009, 101: 487-481
Franzago, M. et al.: Genes and Diet in the Prevention of Chronic Diseases in Future Generations. In: Int J Mol Sci, 2020, 21: 2633
Meroni, M. et al.: Nutrition and Genetics in NAFLD: The Perfect Binomium. In: Int J Mol Sci, 2020, 21: 2986
Möhlig, M. et al.: Bio- und Genmarker für das Metabolische Syndrom. In: DIfE-Jahresbericht, 2003/04: 22-24 
Küpper, C.: Essen nach den Genen – Zukunftsmusik oder realistische Annahme? In: Ernährung im Fokus, 2004, 10: 138-145 
Norris, J. M. et al.: Timing of initial cereal exposure in infancy and risk of islet autoimmunity. In: JAMA, 2003, 290: 1713-1720
TEDDY-Studie: www.teddystudy.org. (Letzter Abruf: 29.09.2020)
TEENDIAB-Studie: www.teendiab.de. (Letzter Abruf: 29.09.2020)
Ziegler, A. G. et al.: Early infant feeding and risk of developing type 1 diabetes-associated autoantibodies. In: JAMA, 2003, 290: 1721-1728
Stand: 29.09.2020