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Subtypen des Diabetes – Eine Chance für die Präzisionsmedizin

Wissenschaftliche Unterstützung: Dr. Oana Patricia Zaharia

Die Erkrankung Diabetes mellitus ist sehr viel komplexer, als es die Einteilung in Typ-1- und Typ-2-Diabetes vermuten lässt. Forschende schlagen daher eine neue Klassifizierung des Diabetes vor: Die Einteilung in 5 Diabetes-Subtypen. Diese bilden die Grundlage für eine präzisere Behandlung und Vorbeugung von Folgeerkrankungen.

Die Personen der einzelnen Subtypen weisen bestimmte Merkmale auf. Daraus lässt sich eine individuelle Behandlung ableiten. Zudem ist das Komplikationsrisiko in bestimmten Subgruppen höher, als in anderen. Neben dem Schweren Autoimmun-Diabetes, der dem klassischen Typ-1-Diabetes entspricht, fallen 2 Diabetesformen mit schwerem Krankheitsverlauf besonders auf. Sie waren bisher unter dem Typ-2-Diabetes verborgen.



1. Warum kritisieren Fachleute die klassische Einteilung in Diabetes Typ 1 und Diabetes Typ 2?

Diabetes mellitus wird bisher in 2 Hauptformen unterteilt: Typ-1- und Typ-2-Diabetes. Die Unterscheidung basiert in erster Linie darauf, ob Autoantikörper gegen die insulinproduzierenden Betazellen der Bauchspeicheldrüse vorliegen (Typ-1-Diabetes) oder nicht (Typ-2-Diabetes) und dem Erkrankungsalter.

Neben Typ-1- und Typ-2-Diabetes gibt es weitere Diabetesformen beziehungsweise Ausprägungen. LADA-Diabetes zum Beispiel wird häufig fälschlicherweise dem Typ-2-Diabetes zugeordnet. Im Laufe der Zeit zeichnen sich aber immer mehr Ähnlichkeiten zu Typ-1-Diabetes ab. Zudem gibt es mehrere Diabetesformen, die durch Veränderungen beziehungsweise Defekte in einem einzelnen Gen verursacht werden (sogenannter MODY-Diabetes). Sie werden nur mittels Gentests erkannt.

 

All diese Diabetesformen haben eines gemeinsam: Erhöhte Blutzuckerwerte. Allerdings benötigt nicht jeder Mensch mit Diabetes die gleiche Behandlung beziehungsweise wirkt auch nicht jede Behandlung bei allen gleich. Es gibt Diabetesformen, die früh mit Insulin behandelt werden müssen, um spätere Folgeerkrankungen zu vermeiden. Andere Formen sprechen eher auf bestimmte blutzuckersenkende Medikamente und/oder Lebensstilanpassungen an.

Die Erkrankung Diabetes mellitus ist also sehr viel komplexer, als es die klassische Einteilung vermuten lässt. Im Jahr 2018 schlug ein schwedisch-finnisches Forschungsteam die Einteilung in 5 Diabetes-Subgruppen vor. Diese spiegeln die vielfältigen Ursachen eines erhöhten Blutzuckerspiegels wider und ermöglichen eine individualisierte Behandlung. Zudem kann dadurch das Risiko für bestimmte Folgeerkrankungen genauer beurteilt werden, was ein gezieltes Vorbeugen ermöglicht.

Gut zu wissen:

Die vorgeschlagene Einteilung in 5 Diabetes-Subtypen ist noch nicht vollkommen ausgereift. Weitere Studien sind notwendig, in welchen die Analysen verfeinert und mit weiteren Variablen abgeglichen werden.


2. Welche Diabetes-Subtypen gibt es?

Es werden 5 Diabetes-Subtypen unterschieden:


3. Wie funktioniert die Einteilung in die Diabetes-Subgruppen?

Es werden bestimmte Parameter erhoben und analysiert, um Patientinnen und Patienten einem Diabetes-Subtyp zuzuordnen. Das schwedisch-finnische Forschungsteam, welches die Einteilung in die 5 Subgruppen erstmals vorschlug, nutzte die folgenden Variablen:


4. Wie unterscheiden sich die Diabetes-Subtypen?

Die Patientinnen und Patienten in den einzelnen Subgruppen unterscheiden sich hinsichtlich bestimmter Merkmale. Dadurch kann auf einen milden oder schweren Krankheitsverlauf geschlossen werden mit individuellem Risiko für bestimmte Folgeerkrankungen. Auch die optimale Behandlung kann an dem jeweiligen Subtyp abgeleitet werden.

 

Krankheitsverlauf

Während der Krankheitsverlauf bei dem Moderaten Übergewichts- und Moderaten Altersdiabetes eher mild ist, weisen die anderen 3 Diabetes-Subtypen einen schweren Krankheitsverlauf auf. Neben dem Schweren Autoimmun-Diabetes, der dem klassischen Typ-1-Diabetes entspricht, rücken durch die Klassifizierung 2 neue Diabetesformen mit schweren Krankheitsverläufen in den Vordergrund. Sie waren bisher unter dem Typ-2-Diabetes vorborgen: Der Schwere Insulinmangel-betonte Diabetes und der Schwere Insulinresistenz-betonte Diabetes.

 

Behandlung und Folgeerkrankungen

Dadurch, dass die neue Klassifizierung Informationen zu den Krankheitsmechanismen liefert, kann die Behandlung präzise gewählt werden. Das wiederum kann zukünftige Komplikationen verhindern beziehungsweise zur Vorbeugung dienen.

In manchen Diabetes-Subgruppen kommen bestimmte Folgeerkrankungen häufiger vor als in anderen. Besonders auffällig sind 2 Subtypen:

  • Personen mit Schwerem Insulinresistenz-betonten Diabetes zeigen ein besonders hohes Risiko für Nierenerkrankungen (diabetische Nephropathie) und andere Komplikationen.
  • Auch bei dem Insulinmangel-betonten Diabetes ist das Komplikationsrisiko insgesamt erhöht. Augenerkrankungen (diabetische Retinopathie) und ein gestörtes Schmerzempfinden (diabetische Neuropathie) gehören in diesem Subtyp zu den häufigsten Komplikationen.

Weitere Informationen zu den Folgeerkrankungen von Diabetes finden Sie hier. 

 

Im Folgenden sind die Hauptmerkmale der 5 Diabetes-Subtypen beschrieben.


5. Die 5 Diabetes-Subtypen im Überblick

Schwerer Autoimmun-Diabetes (SAID)

Zeichnet sich aus durch:

  • Keine oder sehr geringe Insulinproduktion
  • Geringe Anzahl an Betazellen
  • Vorliegen von Autoantikörpern, die die insulinproduzierenden Betazellen zerstören
  • Schwerer Krankheitsverlauf

Behandlung:

  • Insulin

Komplikationsrisiko: Durchschnittlich. Höchstes Risiko für diabetische Ketoazidose.

Vorkommen: Ungefähr 5 bis 15 Prozent


Dieser Subtyp entspricht dem klassischen Typ-1- und LADA-Diabetes.

Schwerer Insulinmangel-betonter Diabetes (SIDD)

Zeichnet sich aus durch:

  • Zu niedrige Insulinproduktion, die sich in hohem Langzeit-Blutzuckerwert (HbA1c) widerspiegelt
  • Schwerer Krankheitsverlauf

Behandlung:

  • Insulin (zeitnah), um Komplikationsrisiko zu senken

Komplikationsrisiko: Überdurchschnittlich erhöht. Besonders für diabetische Augenerkrankungen, gestörtes Schmerzempfinden (diabetische Neuropathie) und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Vorkommen: Ungefähr 9 bis 20 Prozent

Schwerer Insulinresistenz-betonter Diabetes (SIRD)

Zeichnet sich aus durch:

  • Erhöhte Insulinproduktion, geringe Insulinempfindlichkeit
  • Häufig liegt ein Metabolisches Syndrom vor
  • Schwerer Krankheitsverlauf

Behandlung:

  • Blutzuckersenkende Antidiabetika (Metformin, SGLT-2-Hemmer, DPP-4-Hemmer, GLP-1-Rezeptoragonisten) oder Insulin (im späteren Verlauf)

Komplikationsrisiko: Überdurchschnittlich erhöht. Besonders für schnell fortschreitende diabetische Nierenerkrankung, nicht-alkoholische Fettlebererkrankung, Leberfibrose und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Vorkommen: Ungefähr 11 bis 17 Prozent

Moderater Übergewichtsdiabetes (MOD)

Zeichnet sich aus durch:

Behandlung:

  • Blutzuckersenkende Antidiabetika (Metformin, GLP-1-Rezeptoragonstien, SGLT-2-Hemmer) oder Insulin (zeitnah)

Komplikationsrisiko: Unterdurchschnittlich. Erhöhtes Risiko für nicht-alkoholische Fettlebererkrankung.

Vorkommen: Ungefähr 20 Prozent

Moderater Altersdiabetes (MARD)

Zeichnet sich aus durch:

  • Höheres Alter bei normaler Insulinproduktion
  • Milder Krankheitsverlauf

Behandlung:

  • Blutzuckersenkende Antidiabetika (Metformin, DPP-4-Hemmer, SGLT-2-Hemmer, GLP-1-Rezeptoragonstien)

Komplikationsrisiko: Durchschnittlich. Erhöhtes Risiko für diabetische Nierenerkrankung und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Vorkommen: Ungefähr 45 Prozent


6. Finden sich alle Diabetesformen in der neuen Klassifizierung wieder?

Ja, alle Diabetesformen werden bei den 5 Subtypen berücksichtigt. Der Schwere Autoimmun-Diabetes überschneidet sich mit dem klassischen Typ-1-Diabetes und LADA-Diabetes. Je nach Charakteristik des MODY- oder Typ-2-Diabetes ermöglicht die Einteilung auch bei diesen Formen eine individualisierte Behandlung und das frühe Erkennen von Komplikationsrisiken.

Gut zu wissen:

Im Verlauf der Erkrankung kann sich die Zugehörigkeit zu einer Subgruppe ändern.


7. Findet die Einteilung bereits heute in Diabetes-Praxen Anwendung?

Diabetes-Patientinnen und -Patienten werden noch nicht flächendeckend in die 5 Diabetes-Subtypen unterteilt. Das liegt zum einen daran, dass weitere Studien notwendig sind, um konkrete Maßnahmen ableiten zu können. Zum anderen können die zur Einteilung genutzten Parameter Insulinproduktion und Insulinwirkung in gewöhnlichen Diabetes-Praxen nicht erhoben werden. Forschende prüften daher, ob auch andere, klinische Routineparameter zur Einteilung von Menschen mit Typ-2-Diabetes in die Subtypen genutzt werden können. Sie wiesen nach, dass unter Einbezug der Routineparameter HDL-Cholesterin und C-Peptid, die Einteilung auch im klinischen Alltag weitgehend möglich ist.

Die Einteilung in die Subtypen Schwerer Insulinmangel-betonter Diabetes, Schwerer Insulinresistenz-betonter Diabetes, Moderater Übergewichtsdiabetes und Moderater Altersdiabetes ist also ebenfalls möglich, wenn die folgenden Variablen erfasst und analysiert werden:

Außerdem entwickeln deutsche Forschende aktuell ein webbasiertes Tool, mit dem Diabetes-Praxen ihre Patientinnen und Patienten zukünftig in die Diabetes-Subtypen einteilen können.

Auch wenn diese Klassifizierungs-Hilfe noch nicht verfügbar ist, können Sie Ihr Diabetes-Team bereits jetzt fragen, ob Ihre Diabetes-Erkrankung zu einem Subtyp tendiert.

Schon gewusst?

Es gibt auch Subgruppen des Prädiabetes – also der Vorstufe des Typ-2-Diabetes. Auch sie ermöglichen es, frühzeitig die Vorbeugung und Behandlung auf die Patientin beziehungsweise den Patienten individuell anzupassen. In unserem Podcast erfahren Sie mehr darüber.

Quellen:

Anjana, R. M. et al.: New and Unique Clusters of Type 2 Diabetes Identified in Indians. In: J Assoc Physicians India, 2021, 69: 58-61
Ahlqvist, E. et al.: Novel subgroups of adult-onset diabetes and their association with outcomes: a data-driven cluster analysis of six variables. In: Lancet Diabetes Endocrinol, 2018, 6: 361-369
Slieker, R. C. et al.: Replication and cross-validation of type 2 diabetes subtypes based on clinical variables: an IMI-RHAPSODY study. In: Diabetologia, 2021, 64: 1982-1989
Song, X. et al.: Clinical Characteristics of Inpatients With New-Onset Diabetes Mellitus in Eastern China: Based on Novel Clustering Analysis. In: Front Endocrinol (Lausanne), 2022, 13: 927661
Zaharia, O. P. et al.: Risk of diabetes-associated diseases in subgroups of patients with recent-onset diabetes: a 5-year follow-up study. In: Lancet Diabetes Endocrinol, 2019, 7: 684-694
Stand: 12.12.2022