Andere genetische Defekte
Wissenschaftliche Unterstützung: Dr. Oana Patricia Zaharia
Eine Reihe von monogenen Erbkrankheiten können mit Diabetes in Verbindung gebracht werden. „Monogen“ bedeutet, dass ein Defekt in einem einzelnen Gen vorliegt. Die Mechanismen, die diese Störungen mit Diabetes verbinden, sind oft nicht klar. Chromosomenanomalien sind Krankheiten, bei denen durch Mutationen die Zahl oder Struktur der Chromosomen verändert ist. Dazu gehören zum Beispiel das Down-Syndrom, Klinefelter- und Turner-Syndrom. Auch Basenpaar-Wiederholungs-Syndrome wie Friedrichs-Ataxie, Huntington-Krankheit und Dystrophia myotonica sowie schwere Adipositas-Syndrome wie Biedl-Bardet-Syndrom und Prader-Willi-Syndrom gehören dazu.
Sie können alle mit Diabetes im Zusammenhang stehen, allerdings ist weitere Forschung notwendig.

Chromosomenanomalien
Chromosomenanomalien sind Krankheiten, bei denen durch Fehler während der Kernteilung die Anzahl oder Struktur der Chromosomen, genauer der Geschlechtschromosomen, verändert ist. Menschen weisen in der Regel 46 Chromosomen auf.
Down-Syndrom ist eine genetisch-bedingte Erkrankung, bei der das Chromosom 21 nicht 2-mal, sondern 3-mal (Trisomie 21) im Erbgut vorliegt. Die Häufigkeit von Typ-1-Diabetes bei Menschen mit Down-Syndrom wurde auf 1,4 bis 10,6 Prozent geschätzt. Damit ist sie viel höher als in der Allgemeinbevölkerung. Eine weitere Studie zeigte, dass Diabetes 4-mal häufiger bei Personen mit Down-Syndrom vorkommt.
Die Autoimmunität scheint in hohem Maße für das häufigere Auftreten des Diabetes verantwortlich zu sein, bei älteren Patientinnen und Patienten können jedoch auch Fettleibigkeit und Insulinresistenz eine Rolle spielen.
Das Klinefelter-Syndrom ist auf ein zusätzliches X-Chromosom bei Männern (XXY) zurückzuführen, das zu niedrigen Testosteronspiegeln führt. Menschen mit Klinefelter-Syndrom sind in der Regel übergewichtig, haben eine Insulinresistenz und ein erhöhtes Risiko an Typ-2-Diabetes zu erkranken.
Eine Studie wies den Zusammenhang von Typ-1-Diabetes bei Betroffenen auf, allerdings besteht weiterhin Forschungsbedarf.
Das Turner-Syndrom ist die häufigste Chromosomenanomalie bei Mädchen und tritt bei etwa 1 von 2.500 neugeborenen Mädchen auf. Das Syndrom wird durch vollständige oder teilweise Zerstörung von einem X-Chromosom verursacht (XO). Zu den klinischen Merkmalen gehören Kleinwuchs, niedriger Haaransatz, tief angesetzte Ohren und reproduktive Funktionsstörungen, die zu Sterilität führen können. Andere gesundheitliche Probleme wie angeborene Herzerkrankungen, Schilddrüsenunterfunktion und Autoimmunerkrankungen treten auch häufiger bei diesen Patientinnen auf.
Der Zusammenhang zwischen Typ-1-Diabetes bei Menschen mit Turner-Syndrom ist bisher nicht geklärt, während der Zusammenhang mit Typ-2-Diabetes eindeutig belegt ist. Aufgrund der hohen Diabetes-Häufigkeit wird empfohlen, dass sich Patientinnen mit Turner-Syndrom ab dem 10. Lebensjahr jährlich auf Diabetes untersuchen lassen.
Krankheiten des endoplasmatischen Retikulums
Das endoplasmatische Retikulum ist Bestandteil aller Zellen im menschlichen Körper. Es modifiziert neu gebildete Proteine, sodass sie im Körper ihre richtige Funktion übernehmen können. Daher betreffen die Erkrankungen, die das endoplasmatische Retikulum schädigen, in der Regel viele Organe.
Das Wolfram-Syndrom ist eine seltene neurodegenerative Krankheit. Als neurodegenerativ bezeichnet man in der Medizin Prozesse, die den Verfall von Nervenzellen betreffen. Menschen mit Wolfram-Syndrom leiden an Typ-1-Diabetes, Diabetes insipidus, Verfall der Sehnerven, Hörverlust und neurologischen Störungen. Menschen mit diesem Syndrom versterben häufig schon früh mit einem mittleren Alter von 30 Jahren.
Diabetes ist normalerweise die 1. Ausprägung der Erkrankung, die schon ab dem 6. Lebensjahr festgestellt wird. Ärztinnen und Ärzte prüfen die Zerstörung eines bestimmten Gens (WFS1-Gen), um das Wolfram-Syndrom festzustellen. Das Wolfram-Syndrom kann derzeit leider nicht behandelt werden.
Basenpaar-Wiederholungs-Syndrom
Das Basenpaar-Wiederholungs-Syndrom ist eine erbliche Störung, die zu Großwuchs und/oder Fehlbildungen führt. Auf diesem genetischen Defekt basieren zum Beispiel die Erbkrankheiten Friedreich-Ataxie, Chorea Huntington und Dystrophia myotonica.
Friedreich-Ataxie ist eine seltene genetische Störung des zentralen Nervensystems. Sie ist durch eine langsam fortschreitende Zerstörung zusammen mit einer erworbenen neurogenen Sprechstörung, Muskelschwäche und einer erhöhten Eigenspannung des Muskels gekennzeichnet. Bis zu 30 Prozent der Menschen mit Friedreich-Ataxie können Diabetes oder eine gestörte Glukosetoleranz aufweisen.
Bei der genetisch-bedingten neurologischen Erkrankung Chorea Huntington liegt eine krankhaft gesteigerte Beweglichkeit der Skelettmuskulatur (Chorea) vor. Die Krankheit wird vererbt, der Gendefekt liegt auf Chromosom 4.
Obwohl frühere Studien einen Zusammenhang von Menschen mit Chorea Huntington und Diabetes zeigten, weist eine aktuelle Übersichtsarbeit keine erhöhte Diabetes-Häufigkeit bei Patientinnen und Patienten mit Chorea Huntington auf. Eine schwere akute Hyperglykämie kann jedoch auch bei Menschen mit Diabetes ohne Huntington vorübergehende choreiforme, also zuckende, schnellende Bewegungen hervorrufen.
Dystrophia myotonica ist eine vererbbare Muskelerkrankung mit Muskelschwäche und Muskelschwund. Häufig kommen weitere Erkrankungen wie Herzrhythmusstörungen, Katarakte (Grauer Star) und hormonelle Störungen wie Diabetes mellitus hinzu.
Schwere Adipositas-Syndrome
Bei dem Biedl-Bardet-Syndrom und dem Prader-Willi-Syndrom handelt es sich jeweils um eine genetische Störung, die in Kombination mit starkem Übergewicht (Adipositas) auftritt.
Biedl-Bardet-Syndrom ist eine extrem seltene Erkrankung mit der Häufigkeit von 1 zu 125.000. Mindestens 22 Gene sind von der Störung betroffen. Menschen mit dem Biedl-Bardet-Syndrom sind übergewichtig und können unter anderem überzählige Finger sowie Augenerkrankungen nachweisen. Das metabolische Syndrom ist bei etwa der Hälfte der Patientinnen und Patienten ebenfalls vorhanden.
Beim Prader-Willi-Syndrom handelt es sich um eine genetisch-bedingte Behinderung mit körperlichen und geistigen Einschränkungen. Verantwortlich dafür sind Gendefekte auf Chromosom 15.
Bei Kindern ist das Syndrom mit übermäßigem Essen und krankhafter Fettleibigkeit, einer endokrinen Funktionsstörung der Keimdrüsen, niedrigem Muskeltonus und Kleinwuchs verbunden. Dies führt bei Kindern häufig zu einem Typ-2-Diabetes aufgrund einer schweren Insulinresistenz.
Quellen:
Anwar, A. J. et al.: Type 1 diabetes mellitus and Down's syndrome: prevalence, management and diabetic complications. In: Diabet Med, 1998, 15: 160–163
Bergholdt, R. et al.: Increased prevalence of Down's syndrome in individuals with type 1 diabetes in Denmark: A nationwide population-based study. In: Diabetologia, 2006, 49: 1179–1182
Bojesen, A. et al.: Morbidity in Klinefelter syndrome: a Danish register study based on hospital discharge diagnoses. In: J Clin Endocrinol Metab, 2006, 91: 1254–1260
Bojesen A. et al.: Klinefelter's syndrome, type 2 diabetes and the metabolic syndrome: the impact of body composition. In: Mol Hum Reprod, 2010, 16: 396-401
Feingold, K. R. et al.: Atypical forms of diabetes. In: Endotext [Internet]. MDText.com, Inc. 2019
Gravholt, C. H. et al.: International Turner Syndrome Consensus G. Clinical practice guidelines for the care of girls and women with Turner syndrome: proceedings from the 2016 Cincinnati International Turner Syndrome Meeting. In: Eur J Endocrinol, 2017, 177:G1–G70
Mujahid, S. et al.: The Endocrine and Metabolic Characteristics of a Large Bardet-Biedl Syndrome Clinic Population. In: J Clin Endocrinol Metab, 2018, 103: 1834–1841
Pandey, M. et al.: Huntington's disease: the coming of age. In: J Genet, 2018, 97: 649–664
Sun, L. et al.: Glucose Metabolism in Turner Syndrome. In: Front Endocrinol (Lausanne), 2019, 10: 49
Urano F.: Wolfram Syndrome: Diagnosis, Management, and Treatment. In: Curr Diab Rep, 2016, 16: 6
Stand: 04.12.2019