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Diabetes durch andere genetische Defekte

Wissenschaftliche Unterstützung: Prof. Dr. Martin Heni, Dr. Oana Patricia Zaharia

Eine Reihe von monogenen Erbkrankheiten können mit Diabetes in Verbindung gebracht werden. „Monogen“ bedeutet „durch ein einzelnes Gen bedingt“. Der Defekt bei monogenen Erbkrankheiten liegt dementsprechend in einem einzelnen Gen vor. Die Mechanismen, die diese Störungen mit Diabetes verbinden, sind oft unklar.

Verschiedene monogene Erbkrankheiten können Diabetes begünstigen oder auslösen. Unter anderem:

  • Chromosomen-Anomalien (Down-Syndrom, Klinefelter- und Turner-Syndrom)
  • Basenpaar-Wiederholungs-Syndrome (Friedreich-Ataxie, Huntington-Krankheit und Dystrophia myotonica)
  • Krankheiten des endoplasmatischen Retikulums (Wolfram-Syndrom) oder
  • Schwere Adipositas-Syndrome (Bardet-Biedl-Syndrom und Prader-Willi-Syndrom)
  • Lipodystrophien

Weitere Forschung ist jedoch notwendig, da es sich dabei um seltene Erkrankungen handelt.



1. Diabetes durch Chromosomen-Anomalien

Chromosomen-Anomalien sind Krankheiten, bei denen durch Fehler während der Kernteilung die Anzahl oder die Struktur der Chromosomen verändert wird. In der Regel haben Menschen 46 Chromosomen. Krankheiten, bei denen die Anzahl der Chromosomen von 46 abweicht und bei denen ein erhöhtes Risiko für Diabetes vorliegt, sind beispielsweise:

  • Down-Syndrom
  • Klinefelter-Syndrom
  • Turner-Syndrom

Mehr Informationen zu diesen Erkrankungen finden Sie in den nächsten Abschnitten.

Down-Syndrom

Das Down-Syndrom ist eine genetisch-bedingte Erkrankung, bei der das Chromosom 21 nicht 2-mal, sondern 3-mal (Trisomie 21) im Erbgut vorliegt. 1 Kind von 1.000 Kindern kommt mit Down-Syndrom zur Welt. Bei diesen Kindern besteht ein erhöhtes Risiko für Diabetes. So ist die Häufigkeit von Typ-1-Diabetes bei Menschen mit Down-Syndrom 3-mal so hoch wie bei Menschen ohne Down-Syndrom. Auch Typ-2-Diabetes kommt häufiger vor: Bei 5- bis 14-Jährigen ist das Risiko 10-mal höher als bei Kindern ohne Down-Syndrom.

Die Wissenschaft konnte noch nicht genau klären, wie es zu dem erhöhten Risiko kommt. Forscherinnen und Forscher finden jedoch immer mehr Hinweise, dass das Immunsystem von Menschen mit Down-Syndrom erhöhte Defekte aufweist. Vor allem diese Störung des Immunsystems scheint die Ursache für zahlreiche Folgeerkrankungen zu sein.

Derzeit sind 3 Gene bekannt – AIRE, DYRK1A und RCAN1 –, die mit Diabetes mellitus in Verbindung stehen und auf dem Chromosom 21 liegen. Vermutlich stören die Gene die Glukosetoleranz und fördern den Verlust der insulinproduzierenden Betazellen in der Bauchspeicheldrüse. Dadurch entwickelt sich ein Typ-1-Diabetes. Auch neigen Menschen mit Down-Syndrom häufiger zu starkem Übergewicht (Adipositas) und Insulinresistenz. Dies kann wiederum zu einem Typ-2-Diabetes führen.

Klinefelter-Syndrom

Das Klinefelter-Syndrom ist auf ein zusätzliches X-Chromosom bei Männern zurückzuführen (XXY statt XY). Dies führt zu niedrigen Testosteronspiegeln. Menschen mit Klinefelter-Syndrom sind häufiger übergewichtig, haben eine Insulinresistenz und somit auch ein erhöhtes Risiko an Typ-2-Diabetes zu erkranken.

Eine Studie fand ebenso ein erhöhtes Risiko für Typ-1-Diabetes bei betroffenen Personen. Allerdings besteht in dieser Hinsicht weiterhin Forschungsbedarf.

Turner-Syndrom

Das Turner-Syndrom ist die häufigste Veränderung der Geschlechtschromosomen bei Mädchen und tritt bei etwa 1 von 2.500 neugeborenen Mädchen auf. Das Syndrom wird durch die vollständige oder teilweise Zerstörung von einem X-Chromosom verursacht (XO statt XX). Zu den klinischen Merkmalen gehören Kleinwuchs, niedriger Haaransatz, tief angesetzte Ohren und reproduktive Funktionsstörungen, die zu Unfruchtbarkeit führen können. Andere gesundheitliche Probleme wie angeborene Herz-Erkrankungen, Schilddrüsenunterfunktion und Autoimmunerkrankungen treten ebenfalls häufiger auf.

Dass Mädchen und Frauen mit dem Turner-Syndrom auch an Typ-1-Diabetes erkranken, ist bisher nicht eindeutig belegt. Klar ist hingegen, dass die Zerstörung des X-Chromosoms auch verstärkt zu Typ-2-Diabetes führt. Expertinnen und Experten raten daher dazu, dass sich Patientinnen mit Turner-Syndrom ab dem 10. Lebensjahr jährlich auf Diabetes untersuchen lassen, um frühzeitig gegensteuern zu können.


2. Diabetes durch Basenpaar-Wiederholungs-Syndrome

Das Basenpaar-Wiederholungs-Syndrom ist eine erbliche Störung, die zu Großwuchs und/oder Fehlbildungen führt. Auf diesem genetischen Defekt basieren eine Reihe von Erbkrankheiten, die das Risiko an Diabetes zu erkranken erhöhen.

Im Folgenden finden Sie mehr Informationen zu den Krankheitsbildern:

  • Friedreich-Ataxie
  • Chorea Huntington
  • Dystrophia myotonica

Friedreich-Ataxie

Friedreich-Ataxie ist eine seltene genetische Störung des zentralen Nervensystems. Die ersten Anzeichen zeigen sich sehr früh im Kindesalter: Die Kinder haben meist neurologische Ausfälle wie Sprachstörungen, Muskelschwäche und einen Sensibilitätsverlust in den Händen und Füßen. Außerdem haben sie oft Verformungen an der Wirbelsäule, den Füßen und an den Händen. Bis zu 30 von 100 Menschen mit Friedreich-Ataxie haben zudem Diabetes oder eine gestörte Glukosetoleranz. Meist sterben die Patientinnen und Patienten relativ früh an einer Erkrankung des Herzmuskels (Kardiomyopathie).

Chorea Huntington

Die ebenfalls genetisch-bedingte Chorea Huntington ist eine unheilbare Erkrankung des Gehirns. Bei den Patientinnen und Patienten ist die Beweglichkeit der Skelettmuskulatur (Chorea) krankhaft gesteigert. Das bedeutet, dass betroffene Personen eine zunächst kaum bemerkbare Bewegungsunruhe der Arme und Beine sowie des Gesichtes, Kopfes und Rumpfes zeigen. Dies entwickelt sich dann weiter zu plötzlich einsetzenden, unwillkürlichen Bewegungen verschiedener Muskeln. Die Krankheit wird vererbt und mündet in Demenz. Der Gendefekt liegt auf Chromosom 4.

Obwohl frühere Studien einen Zusammenhang von Menschen mit Chorea Huntington und Diabetes zeigten, weist eine Übersichtsarbeit keine erhöhte Diabetes-Häufigkeit bei Patientinnen und Patienten mit Chorea Huntington auf. Eine aktuelle Studie zeigt sogar ein geringeres Vorkommen von Diabetes bei Menschen mit Chorea Huntington.

Dystrophia myotonica

Dystrophia myotonica ist eine vererbbare Muskelerkrankung, die sich durch Muskelschwäche und Muskelschwund äußert. Meist zeigen sich die ersten Symptome bis zu einem Alter von 20 Jahren. Am häufigsten sind die Kopfbeuger-, die Hüftstrecker- und die Daumenstrecker-Muskeln betroffen. Häufig haben die Patientinnen und Patienten weitere Erkrankungen wie Herzrhythmusstörungen, Grauer Star (Katarakt) und Typ-2-Diabetes.


3. Diabetes durch Krankheiten des endoplasmatischen Retikulums

Das endoplasmatische Retikulum ist Bestandteil aller Zellen im menschlichen Körper. Es modifiziert neu gebildete Proteine, sodass sie im Körper ihre vorgesehene Funktion übernehmen können. Daher betreffen die Erkrankungen, die das endoplasmatische Retikulum schädigen, in der Regel viele Organe. Dadurch kann auch Diabetes mellitus entstehen.

 

Wolfram-Syndrom

Das Wolfram-Syndrom ist eine seltene neurodegenerative Krankheit, die meist in der Kindheit auftritt. Als neurodegenerativ bezeichnet man Prozesse, die den Verfall von Nervenzellen betreffen. Ärztinnen und Ärzte prüfen die Zerstörung eines bestimmten Gens (WFS1-Gen), um das Wolfram-Syndrom festzustellen. Die erkrankten Kinder und jungen Erwachsenen haben meist weitere Folgeerkrankungen.

Diese Folgeerkrankungen können sein:

Diabetes mellitus ist in der Regel die 1. Ausprägung des Wolfram-Syndroms, das schon ab dem 6. Lebensjahr festgestellt wird. Menschen mit diesem Syndrom werden oft nicht älter als 30 Jahre. Bisher gibt es keine Heilung und keine ursächlichen Behandlungsmöglichkeiten des Wolfram-Syndroms.


4. Diabetes durch schwere Adipositas-Syndrome

Sowohl bei dem Bardet-Biedl-Syndrom als auch dem Prader-Willi-Syndrom handelt es sich um eine genetische Störung, die häufig zu starkem Übergewicht (Adipositas) führt. Dadurch entwickeln die betroffenen Personen oft eine Insulinresistenz. Nicht selten erkranken betroffene Personen daher auch an Typ-2-Diabetes.

Im Folgenden finden Sie mehr Informationen zu den beiden Krankheitsbildern.

Bardet-Biedl-Syndrom

Das Bardet-Biedl-Syndrom ist eine sehr seltene Erkrankung – 1 Mensch von 125.000 bis 175.000 Menschen ist davon betroffen. Mindestens 12 Gene stehen mit der Störung in Zusammenhang.

Menschen mit dem Bardet-Biedl-Syndrom werden manchmal mit überzähligen Fingern und Herzfehlern geboren. Später sind sie oft übergewichtig und haben Augenerkrankungen (Pigment-Retinopathie). Die Hälfte der Patientinnen und Patienten haben das Metabolische Syndrom – eine Kombination aus starkem Übergewicht (Adipositas), Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörung und Insulinresistenz beziehungsweise einer gestörten Glukosetoleranz. Auch Typ-2-Diabetes ist häufig – die Hintergründe sind aber noch nicht ausreichend wissenschaftlich erforscht.

Prader-Willi-Syndrom

Beim Prader-Willi-Syndrom handelt es sich um eine genetisch-bedingte Erkrankung mit körperlichen und geistigen Einschränkungen. Die Kinder sind meist kleinwüchsig, haben eine Verkrümmung der Wirbelsäule und bewegen sich auffällig wenig. Oft zeigen die Kinder auch Verhaltensauffälligkeiten – in vielen Fällen sind sie stur, werden leicht wütend und schlafen schlecht. Menschen mit dem Prader-Willi-Syndrom empfinden aufgrund einer Störung im Gehirn, genauer im Hypothalamus, kein Sättigungsgefühl. Sie entwickeln einen unstillbaren Appetit. Ausgelöst wird das Syndrom durch einen Gendefekt auf Chromosom 15.

Patientinnen und Patienten mit Prader-Willi-Syndrom haben häufig auch einen Typ-2-Diabetes. Dies liegt unter anderem daran, dass sie

  • zu übermäßigem Essverhalten neigen.
  • meistens ein krankhaftes Übergewicht (Adipositas) aufweisen.
  • in vielen Fällen eine endokrine Funktionsstörung der Keimdrüsen haben.
  • zu schweren Insulinresistenzen neigen.

5. Diabetes durch Lipodystrophien

Bei Lipodystrophien handelt es sich um seltene Erkrankungen, bei denen es zu einer krankhaften Reduzierung des Fettgewebes kommt. Das kann den ganzen Körper (generalisierte Lipodystrophie) oder nur bestimmte Bereiche (partielle Lipodystrophie) betreffen.

Bei partiellen Lipodystrophien kommt es häufig zu einer Störung bei der Verteilung des Fettes, bei der an einigen Körperstellen ein Verlust und an anderen Körperstellen eine Zunahme an Fettgewebe stattfindet. Es gibt angeborene (genetisch bedingte) und erworbene Lipodystrophien.

Menschen mit einer Lipodystrophie haben aufgrund des fehlenden Fettgewebes oftmals einen Mangel an Leptin. Das Hormon ist sowohl am Fett- als auch am Zuckerstoffwechsel beteiligt. Aufgrund des Mangels kommt es zu Störungen des Hungergefühls, des Stoffwechsels und des Hormonhaushalts. Dies kann zu einer deutlichen Insulinresistenz und erhöhten Blutzuckerwerten führen, und in der Folge zu einem Diabetes mellitus.

In spezialisierten Zentren können Menschen mit Lipodystrophie oft mit spezifischen Therapien gezielt behandelt werden.

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Stand: 25.07.2023