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Wie wer­den Me­di­ka­men­te er­forscht?

Wissenschaftliche Unterstützung: Prof. Dr. Christian Herder

Von der Entdeckung oder Entwicklung eines Wirkstoffs über die vorklinische und klinische Prüfung bis hin zur Marktzulassung ist es ein sehr langer und aufwendiger Weg.

Neben Medikamenten müssen auch Medizinprodukte, zum Beispiel Blutzucker- oder Blutdruckmessgeräte, vor der Markteinführung bestimmte gesetzliche Anforderungen erfüllen. Auch die sogenannten Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGAs) sind Medizinprodukte, bei denen Sicherheit, Funktion, Qualität, Datenschutz und Datensicherheit vor der Zulassung geprüft werden.



1. Auf der Suche nach einem geeigneten Wirkstoff

Neue Erkenntnisse, zum Beispiel aus der Grundlagenforschung, können Anlass für die Suche nach weiteren Angriffspunkten zur Vorbeugung oder Behandlung einer Krankheit sein. Pharmaforscherinnen und -forscher ermitteln Vorgänge im Krankheitsgeschehen, die durch einen neuen Wirkstoff beeinflusst werden könnten. Ziel ist die Entwicklung eines neuen Medikaments mit einer besseren Wirksamkeit und/oder weniger Nebenwirkungen im Vergleich zu bisherigen Behandlungsmöglichkeiten. Dafür ist viel Forschungsarbeit notwendig.

Wenn ein Angriffspunkt gefunden und ein Wirkstoff dafür entwickelt wurde, arbeiten die Pharmaforschenden oft mehrere Jahre lang daran, den Wirkstoff weiter anzupassen. Computersimulationen unterstützen sie dabei. Der Wirkstoff wird Schritt für Schritt chemisch immer weiter verändert, um allen Anforderungen zu genügen.

Gut zu wissen:

Viele Substanzen bestehen die Prüfungen nicht und müssen aufgegeben werden. Von 10.000 Wirkstoffen, die Pharmaforschende entwickeln und testen, schafft es nur ein Wirkstoff bis zum zugelassenen Medikament.

Nach jeder Veränderung werden immer wieder neue Labortests mit der Substanz durchgeführt. Ungeeignete Varianten scheiden aus. Wenn die Forschungsarbeit Erfolg hat, bleibt am Ende eine Substanz übrig, deren Wirksamkeit zunächst in präklinischen Studien erprobt wird. Sind auch diese erfolgreich absolviert, kann die Substanz in klinischen Studien untersucht werden.


2. Der Testmarathon beginnt: Präklinische Forschung

Bevor ein Wirkstoffkandidat an Menschen erprobt werden kann, müssen die Forscherinnen und Forscher den Wirkstoff einem umfassenden vorklinischen (= „präklinischen“) Prüfprogramm unterziehen. Dazu können Zell- und Gewebestudien im Reagenzglas gehören. Zusätzlich wird der Wirkstoff an Tieren untersucht, um mögliche negative Auswirkungen am lebenden Organismus frühzeitig zu erkennen und auszuschließen. Außerdem prüfen die Forschungsteams, wie der Wirkstoff vom Körper aufgenommen und möglicherweise verändert wird und wie er den Körper wieder verlässt.

Gut zu wissen:

Von Projektbeginn bis zum Abschluss der präklinischen Tests vergehen meist bereits mehr als 5 Jahre.

Gesetzlich vorgeschrieben sind bestimmte Versuche mit mindestens 2 Tierarten. Sehr häufig finden die Versuche an Mäusen statt, die ein ähnliches Erbgut und eine ähnliche Funktionsweise von Organen aufweisen wie der Mensch. Wenn der Wirkstoffkandidat nicht die gewünschte Wirkung zeigt oder Sicherheitsbedenken bestehen, scheidet er für weitere Prüfungen aus. Versuche an einem Tiermodell müssen von einer Ethikkommission genehmigt werden.


3. Erprobung beim Menschen in klinischen Studien

Erst wenn ein Wirkstoffkandidat die präklinische Testung erfolgreich abgeschlossen hat, kann er in klinischen Studien am Menschen untersucht werden. Auch hier stehen die Sicherheit und Wirksamkeit des neuen Wirkstoffs im Mittelpunkt.

Um eine klinische Studie durchführen zu dürfen, benötigen die Forschungsteams die Zustimmung der zuständigen nationalen Behörde und einer Ethikkommission. Die Teilnahme an einer klinischen Studie ist grundsätzlich freiwillig und alle Teilnehmenden werden zuvor ausführlich über den Ablauf der Studie sowie mögliche Risiken aufgeklärt. Vor dem freiwilligen Einschluss in eine klinische Studie müssen die Teilnehmenden eine schriftliche Einwilligungserklärung abgeben. Das Vorgehen ist gesetzlich genau geregelt.

Gut zu wissen:

Haben Sie Interesse, sich an einer klinischen Studie zum Thema Diabetes mellitus als Teilnehmerin oder Teilnehmer zu beteiligen? Tragen Sie sich in unser Interessentenregister ein und erhalten Sie per E-Mail aktuelle Informationen zu passenden Studien in Wohnortnähe.


4. Von der Phase-I- zur Phase-III-Studie: Ein langer Weg

Die klinischen Prüfungen werden in Kliniken und Krankenhäusern, an Forschungsinstituten und Studienzentren sowie manchmal auch in ärztlichen Praxen durchgeführt. Sie gliedern sich in 3 Phasen:

Phase-I-Studien (Verträglichkeitsstudien) testen den Wirkstoff an wenigen gesunden Freiwilligen. Hier geht es darum, ob sich die Ergebnisse zur Verträglichkeit und Sicherheit aus den Tierexperimenten beim Menschen bestätigen. Außerdem wird geprüft, wie der Körper den Wirkstoff aufnimmt, umwandelt und wieder ausscheidet.

Wenn die Ergebnisse positiv ausfallen, entwickeln die Forscherinnen und Forscher eine geeignete Darreichungsform für den Wirkstoff. Das kann zum Beispiel eine Tablette, eine Kapsel oder eine Lösung zur Injektion oder Infusion sein – aus dem Wirkstoff wird ein Medikament.

Im nächsten Schritt untersuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das neue Medikament in Phase-II-Studien (Wirksamkeitsstudien). Diese Studien erproben das Arzneimittel bei einer kleineren Zahl erkrankter Personen. Neben der Verträglichkeit und Sicherheit wird geprüft, ob das Medikament die gewünschten Behandlungseffekte bei der Krankheit zeigt. Zudem klären die Forschenden, welche Dosierung am besten geeignet ist.

Erst beim erfolgreichen Abschluss der Phase-II-Prüfungen läuft die letzte Studienphase an: In Phase-III-Studien (Verträglichkeits- und Wirksamkeitsstudien) muss das Medikament beweisen, dass es auch bei einer großen Zahl erkrankter Personen wirksam und im Vergleich zu bisherigen Behandlungsmöglichkeiten unbedenklich ist. In diesen klinischen Studien wird die Wirksamkeit eines Medikamentes gegenüber einer Scheinbehandlung, einem Placebo, oder bereits zugelassenen Vergleichsmedikamenten getestet.

Wenn die Ergebnisse ebenfalls positiv ausfallen, kann bei den zuständigen Behörden ein Zulassungsantrag gestellt werden – vor einer Zulassung durch die Behörden darf das Medikament nicht verordnet werden. 


5. Die Zulassungsbehörden entscheiden

Die Firma, die das Medikament entwickelt und alle Tests erfolgreich abgeschlossen hat, reicht sämtliche Studienergebnisse bei einer Zulassungsbehörde ein. Für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union ist die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) mit Sitz in Amsterdam zuständig. Ein Zulassungsantrag kann aber auch bei der zuständigen Behörde eines einzelnen Landes gestellt werden. In diesem Fall ist die Zulassung dann nur für das entsprechende Land gültig. Die zuständige Behörde in Deutschland heißt Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM).

Gut zu wissen:

Im Durchschnitt dauert es mehr als 13 Jahre, bis ein neuer Wirkstoff als Medikament für die Verschreibung zur Verfügung steht.

Die Zulassungsbehörde prüft alle Unterlagen und klärt offene Fragen mit dem Unternehmen. Manchmal werden noch weitere Untersuchungen benötigt. Da die Unterlagen in der Regel sehr umfangreich sind, dauert die Prüfung meistens mehr als ein Jahr. Dann fällt eine Entscheidung, ob das Medikament zugelassen wird oder nicht. Erst nach einer positiven Entscheidung der Zulassungsbehörde darf das Medikament verordnet werden. Manche Medikamente erhalten trotz der langen Prüfzeit keine Zulassung.

Nach der Zulassung werden Medikamente weiterhin beobachtet. Ziel ist es, über einen langen Zeitraum zu kontrollieren, ob bisher nicht bekannte seltene Nebenwirkungen unter Einnahme des Medikaments auftreten.

Ein weiterer Aspekt, der nach der Zulassung von Medikamenten untersucht wird, ist der sogenannte Zusatznutzen. Dabei handelt es sich um einen positiven Effekt oder einen Mehrwert, den ein neues Medikament im Vergleich zu bereits vorhandenen Therapien bietet. Dies kann zum Beispiel die Abschwächung schwerwiegender Symptome oder auch eine erhebliche Verlängerung der Überlebensdauer sein. Die Bewertung des Zusatznutzens erfolgt in Deutschland durch unabhängige Institutionen wie das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG).

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) prüft die Bewertung und entscheidet, welchen Zusatznutzen das neue Medikament hat. Je nachdem, wie groß der belegte Zusatznutzen im Vergleich zu bestehenden Behandlungsmöglichkeiten ist, kann dies Einfluss auf die Preisgestaltung, die Erstattung durch Krankenkassen und die Empfehlung für die Anwendung des Medikaments haben.


6. Was hat es mit der CE-Kennzeichnung bei Medizinprodukten auf sich?

Während Medikamente dem Arzneimittelrecht unterliegen, gilt für Medizinprodukte das Medizinproduktegesetz (MPG) beziehungsweise seit 2020 die EU-Medizinprodukteverordnung (MDR).

Medizinprodukte, zum Beispiel Blutzucker- oder Blutdruckmessgeräte, müssen vor der Markteinführung ebenfalls bestimmte gesetzliche Anforderungen erfüllen. In der Europäischen Union ist die CE-Kennzeichnung (CE = Communauté Européenne, französisch für „Europäische Gemeinschaft“) eine Voraussetzung. Um diese zu erhalten, müssen die Medizinprodukte ein sogenanntes Konformitätsbewertungsverfahren durchlaufen. Dabei weist der Hersteller nach, dass das Medizinprodukt seinen vorgesehenen Zweck erfüllt und grundlegende Sicherheitsanforderungen erfüllt. Medizinprodukte werden in 3 Risikoklassen unterteilt. Klasse 1 ist die niedrigste und Klasse 3 die höchste Risikoklasse.

Gut zu wissen:

Auch bei den sogenannten Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGAs) handelt es sich um Medizinprodukte, die das Zertifizierungsverfahren zur CE-Kennzeichnung durchlaufen müssen.

Weitere Informationen zu DiGAs und Diabetes-Apps finden Sie hier.

Quellen:

Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte: www.bfarm.de (Letzter Abruf: 09.08.2023)
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte: Finden Sie die passende digitale Gesundheitsanwendung. (Letzter Abruf: 09.08.2023)
Bundesministerium für Bildung und Forschung: Wie funktionieren klinische Studien? (Letzter Abruf: 09.08.2023)
European Medicines Agency: www.ema.europa.eu (Letzter Abruf: 09.08.2023)
Gemeinsamer Bundesausschuss: Ergebnisse der Nutzenbewertung – Kategorien des Zusatznutzens. (Letzter Abruf: 09.08.2023)
Verband forschender Arzneimittelhersteller e.V.: So entsteht ein neues Medikament. (Letzter Abruf: 09.08.2023)
Stand: 09.08.2023