Diabetische Retinopathie: Wie sich Diabetes auf die Augen auswirkt
Wissenschaftliche Unterstützung: Prof. Dr. Rainer Guthoff, Dr. Gidon Bönhof
Diabetes kann die kleinsten Blutgefäße in den Augen und damit auch die Netzhaut schädigen. Viele Menschen mit Diabetes bemerken die Veränderungen anfänglich nicht. Im Verlauf können sie jedoch zu leichten Sehbeschwerden bis hin zur Erblindung führen.
Augenerkrankungen bedingt durch eine Diabetes-Erkrankung sind vielfältig: Neben Veränderungen der kleinen Gefäße der Netzhaut (Retinopathie) und des gelben Flecks (Makulopathie) werden auch Entzündungen an Ober- und Unterlid und grauer Star (Linsentrübungen, Katarakt) beobachtet. Der gelbe Fleck, Makula, ist der Netzhautbereich des schärfsten Sehens. Dort befinden sich die meisten Sehsinneszellen, darunter auch jene für die Farbwahrnehmung und die Lesefähigkeit. Außerdem können Veränderungen des Augeninnendrucks und Beeinträchtigungen aller Nerven, die an der Funktion des Auges beteiligt sind, auftreten. Veränderungen des Augeninnendrucks können zum sogenannten „grünen Star“ führen.
Inhaltsverzeichnis
- Was erhöht das Risiko für eine diabetische Augenerkrankung?
- Wie wird eine diabetische Retinopathie festgestellt?
- Wie entsteht die Retinopathie bei Menschen mit Diabetes?
- Wie kann einer Augenerkrankung bei Diabetes vorgebeugt werden?
- Was untersucht die Augenärztin und der Augenarzt?
- Wie wird eine diabetische Retinopathie behandelt?
- Wie häufig kommen diabetesbedingte Augenerkrankungen vor?
- Hilfestellungen für Menschen mit Diabetes und Sehbehinderung
1. Was erhöht das Risiko für eine diabetische Augenerkrankung?
Die bekanntesten Risikofaktoren für die Entwicklung einer diabetischen Augenerkrankung bei Menschen mit Diabetes sind:
- Rauchen
- Langfristig erhöhte Blutzuckerspiegel
- Erhöhter Blutdruck
- Fettstoffwechselstörungen
- Lange Diabetes-Dauer
- Nierenschädigung durch Diabetes (Diabetische Nephropathie)
2. Wie wird eine diabetische Retinopathie festgestellt?
Die diabetische Augenerkrankung wird von vielen betroffenen Personen zunächst nicht bemerkt. Daher sollten sich Menschen mit Diabetes mindestens alle 2 Jahre bei einer Augenärztin oder einem Augenarzt auf Netzhautveränderungen untersuchen lassen, wenn keine Risikofaktoren vorliegen. Falls einer oder mehrere Risikofaktoren für die Entwicklung einer diabetischen Retinopathie bestehen, sollte eine jährliche Untersuchung erfolgen.
Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) empfiehlt Menschen mit Typ-1-Diabetes ab dem 11. Lebensjahr oder spätestens 5 Jahre nach der Diagnosestellung eine Kontrolle des Augenhintergrundes. Bei Menschen mit Typ-2-Diabetes soll diese sofort nach der Diagnosestellung erfolgen.
Betroffene Personen bemerken diabetische Netzhautschäden meist erst im fortgeschrittenen Stadium.
Anzeichen (Symptome) für diabetische Netzhautschäden sind beispielsweise:
- verschwommenes Sehen
- unscharfes Sehen
- dunkle Flecken oder „rote Schleier“ im Gesichtsfeld
Durch häufige kleine Blutungen oder Unterversorgung des Gewebes kann die Netzhaut so stark geschädigt werden, dass sie sich von ihrer Unterlage ablöst. Diese Netzhautablösung kann sich, bildlich gesprochen, durch „Lichtblitze” oder „Rußregen” bemerkbar machen. Ist der Teil der Netzhaut betroffen, mit dem man am schärfsten sieht („gelber Fleck”, Makula), nehmen betroffene Personen einen „dunklen Vorhang” in ihrem Gesichtsfeld wahr. Die Ablösung der Netzhaut und Schädigung des gelben Flecks kann bis zur kompletten Erblindung fortschreiten.
3. Wie entsteht die Retinopathie bei Menschen mit Diabetes?
Erhöhte Blutzuckerspiegel führen dazu, dass sich Fett- und Eiweißstoffe in die Wände der kleinen und kleinsten Blutgefäße einlagern und zu einer Wandverdickung führen. Es bilden sich Gefäßausbuchtungen (Mikroaneurysmen). Aus ihnen kann Blut austreten, was für das augenärztliche Fachpersonal an punktförmigen Netzhaut-Einblutungen erkennbar ist. Aufgrund der ausgetretenen Flüssigkeit schwillt die Netzhaut an. Es können sich Ablagerungen von Fetten aus dem Blutplasma bilden, die in der augenärztlichen Untersuchung des Augenhintergrundes als sogenannte „harte Exsudate“ sichtbar werden. In diesem Anfangsstadium werden noch keine neuen Blutgefäße gebildet. Dieser Zustand wird in der Fachsprache als nicht-proliferative Retinopathie bezeichnet.
Im Laufe der Zeit kann sich bei anhaltend verminderter Gefäßdurchblutung die Sauerstoffversorgung der Netzhaut weiter verschlechtern. Zum Ausgleich bilden sich neue Blutgefäße. Bei dieser proliferativen Form der diabetischen Retinopathie platzen mitunter Blutgefäße, die in den Glaskörper eingewachsen sind. Als Glaskörper wird die gallertartige Masse bezeichnet, die den Raum zwischen Linse und Netzhaut füllt. Betroffene Personen sehen deshalb plötzlich verschwommen. Bei einem kleinen Teil der Menschen mit Diabetes und nach einer längeren Phase der Diabetes-Erkrankung kann dies bis zur Erblindung führen.
Bei beiden Arten der diabetischen Retinopathie kann gleichzeitig eine Makulopathie (Flüssigkeitsansammlung im Bereich des gelben Flecks (Makula)) auftreten. Dadurch wird die Funktion der Sinneszellen an der Stelle des schärfsten Sehens der Netzhaut – je nach Ausmaß – unterschiedlich stark eingeschränkt. Unbehandelt kann die Makulopathie zu Erblindung führen – als häufigster Grund bei Menschen mit Diabetes.
Gut zu wissen:
Es gibt 2 Arten der diabetischen Retinopathie: die nicht-proliferative und die proliferative Retinopathie. Bei der proliferativen Retinopathie kommt es zu einer unnatürlichen Neubildung von Blutgefäßen. Bei beiden Formen kann es zur diabetischen Makulopathie kommen. Leider führen diese Veränderungen immer noch dazu, dass pro Jahr durchschnittlich 1 von 5.000 Menschen mit Diabetes erblindet.
4. Wie kann einer Augenerkrankung bei Diabetes vorgebeugt werden?
Wichtig ist, dass die vereinbarten Untersuchungstermine bei einer Augenärztin oder einem Augenarzt eingehalten werden. Schäden an der Netzhaut und andere Folgeerkrankungen durch Diabetes lassen sich verringern oder sogar vermeiden, wenn der Blutzucker und der Blutdruck möglichst dauerhaft gut eingestellt sind. Auch ein gesunder Lebensstil kann dazu beitragen, Folgeerkrankungen des Diabetes zu verhindern.
Dazu gehört beispielsweise:
- Rauchverzicht (Rauchen verschlechtert die Durchblutung, unter anderem auch in den Augen)
- Viel Bewegung (körperliche Aktivität fördert die Durchblutung der Augen und wirkt entzündungshemmend)
- Ausgewogene, gesunde Ernährung (damit die Augen mit ausreichend Vitaminen und anderen Nährstoffen versorgt werden)
Gut zu wissen:
Rauchverzicht, Bewegung und eine gesunde Ernährung wirken sich außerdem günstig auf die Risikofaktoren Bluthochdruck und Fettstoffwechselstörungen aus.
5. Was untersucht die Augenärztin und der Augenarzt?
In der Regel beginnt die Untersuchung mit einer Befragung, zum Beispiel nach Medikamenten, die eingenommen werden, oder ob weitere Erkrankungen bekannt sind.
Um anschließend den Augenhintergrund zu untersuchen, erweitert das ärztliche Fachpersonal mit Augentropfen die Pupille. So lässt sich die Netzhaut besser beurteilen. In einigen Fällen wird die Durchblutung des Augenhintergrundes mit einer speziellen Kamera untersucht. Hierfür spritzt die Augenärztin oder der Augenarzt vorher einen Farbstoff in eine Vene.
Den Augenhintergrund und die Makula (gelber Fleck) spiegelt die Augenärztin oder der Augenarzt mit einer Lupe an der sogenannten Spaltlampe, einem speziellen Mikroskop. Die Sehschärfe lässt sich mit Zeichen auf einer Lesetafel prüfen, die der oder die Getestete aus einer festgelegten Entfernung vorliest. Der vordere Abschnitt des Auges kann mit einem weiteren Mikroskop untersucht werden.
6. Wie wird eine diabetische Retinopathie behandelt?
Ärztinnen und Ärzte behandeln Menschen mit einer diabetischen Augenerkrankung durch eine strenge Blutzucker- und Blutdruckeinstellung. Außerdem sollten andere Risikofaktoren wie zum Beispiel Rauchen vermindert werden, um Sehverlust und Erblindung zu vermeiden. Bei einem weiteren Fortschreiten der diabetischen Retinopathie kann eine Laserbehandlung erfolgen, durch die das Gewebe fester miteinander verwächst, um eine Netzhautablösung zu verhindern.
Bei starker Linsentrübung oder Narbenbildung im Glaskörper lässt sich die Laserbehandlung der Netzhaut (Laserkoagulation) nicht immer einsetzen. Sie ist nur bei noch nicht allzu fortgeschrittenen Stadien möglich. Wenn bereits schwere Komplikationen wie Glaskörper-Einblutungen oder Netzhautablösungen vorliegen, können die Augen durch eine operative Entfernung des Glaskörpers vor der kompletten Erblindung bewahrt werden.
Vor allem bei der Makulopathie werden neuerdings Steroide oder gefäßwachstumshemmende Antikörper (VEGF (englisch: Vascular Endothelial Growth Factor)-Hemmer) in den Glaskörperraum eingespritzt. Sie blockieren Wachstumsfaktoren, die für die Bildung neuer, undichter Blutgefäße verantwortlich sind. In der Folge verhindern diese Medikamente ein weiteres Wachstum der Gefäße. Durch die VEGF-Hemmer-Injektionen konnten in Studien auch schwere Formen der Retinopathie in Rückbildung gebracht und die Zahl der diabetesbedingten Erblindungen gesenkt werden.
7. Wie häufig kommen diabetesbedingte Augenerkrankungen vor?
Bei circa einem Viertel der Menschen mit Typ-1-Diabetes (25 von 100 Personen mit Typ-1-Diabetes) tritt irgendwann eine diabetische Retinopathie auf. Vor der Pubertät ist eine Retinopathie bei Kindern mit Typ-1-Diabetes selten. Beim Typ-2-Diabetes ist die Häufigkeit mit durchschnittlich 12,5 Prozent ungefähr halb so groß (13 von 100 Personen mit Typ-2-Diabetes). Bei jeder 3. betroffenen Person liegen bereits zum Zeitpunkt der Typ-2-Diabetes-Diagnose Veränderungen an der Netzhaut vor. Der weitere Verlauf der Augenerkrankung hängt beim Diabetes vom Management des Blutzuckerspiegels und der Blutdruckwerte ab.
Gut zu wissen:
Die diabetische Retinopathie ist die häufigste Ursache für neue Erblindungsfälle bei Erwachsenen im Alter von 20 bis 74 Jahren in Industrieländern.
8. Hilfestellungen für Menschen mit Diabetes und Sehbehinderung
Für stark seheingeschränkte oder gar blinde Personen ist die selbstständige und eigenverantwortliche Diabetes-Therapie oft besonders herausfordernd. Um Insulinpumpen, Blutzuckermessgeräten oder Systeme zur kontinuierlichen Glukosemessung (CGM-Systeme) bedienen zu können, wird in der Regel die Sehkraft zum Ablesen und zur Eingabe von Informationen benötigt. Diabetes-Hilfsmittel und -Technologien sind jedoch oft nicht barrierefrei konzipiert.
Es stehen bislang noch wenig medizinische Geräte zur Verfügung, die auch von Menschen mit starker Sehbehinderung oder Blindheit eigenständig genutzt werden können.
Hilfreich sind zum Beispiel Blutzuckermessgeräte mit einem großen, kontrastreichen Display und einer beleuchteten Anzeige. Mittlerweile gibt es auch Blutzuckermessgeräte mit Ton- beziehungsweise Sprachausgabe oder die Möglichkeit der Kopplung mit einer App für das Smartphone, die das Ergebnis dann vorliest. Bei den Insulinpumpen sind Modelle mit Orientierungstönen verfügbar, die eine akustische Unterscheidung der Alarme ermöglichen. Manche Pumpen lassen sich auch mit Hilfe eines PCs auslesen und programmieren oder per Smartphone bedienen. Für die PC-Arbeit gibt es wiederum verschiedene sogenannte Screenreader („Bildschirm-Ausleseprogramme“) für sehbehinderte und blinde Menschen.
Gut zu wissen:
Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband e. V. (DBSV; www.dbsv.org) berät Menschen mit Diabetes und Sehbehinderungen und setzt sich hier für eine bedarfsgerechte Versorgung mit medizin-technischen Hilfsmitteln ein. Das Beratungs- und Unterstützungsangebot des DBSV ist erreichbar unter https://blickpunkt-auge.de.
Quellen:
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Bundesärztekammer et al.: Nationale Versorgungsleitlinie Prävention und Therapie von Netzhautkomplikationen bei Diabetes. Langfassung. Version 2. 2015
Patienten-Information.de: Diabetes – Schäden an der Netzhaut des Auges. (Letzter Abruf: 30.12.2022)
Raman, R. et al.: A Paradigm Shift in the Management Approaches of Proliferative Diabetic Retinopathy: Role of Anti-VEGF Therapy. In: Clin Ophthalmol, 2022, 16: 3005-3017
Scanlon, P. H.: Improving the screening of risk factors in diabetic retinopathy. In: Expert Rev Endocrinol Metab, 2021, 17: 235-243
Solomon, D. et al.: Diabetic Retinopathy: A Position Statement by the American Diabetes Association. In: Diabetes Care, 2017, 40: 412-418
Trott, M. et al.: Associations between diabetic retinopathy and modifiable risk factors: An umbrella review of meta-analyses. In: Diabet Med, 2022, 39: e14796
Stand: 30.12.2022