Können Infektionen Diabetes verursachen?
Wissenschaftliche Unterstützung: Prof. Dr. Martin Heni, Dr. Oana Patricia Zaharia
Studien zeigen, dass einige Infektionskrankheiten den Blutzucker stark beeinflussen und das Risiko für eine Diabetes-Erkrankung erhöhen. Atemwegsinfektionen in den ersten 6 Monaten nach der Geburt werden zum Beispiel mit einem höheren Risiko für Typ-1-Diabetes in Verbindung gebracht. Eine unbehandelte Parodontitis, eine Entzündung des Kieferknochens, kann hingegen die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes fördern.
Inhaltsverzeichnis
1. Was ist eine Infektion?
Bei einer Infektion, auch Ansteckung genannt, dringen Krankheitserreger in den Körper ein und vermehren sich dort. Die Erreger können Bakterien, Viren, Pilze oder Parasiten sein. Entweder breiten sie sich im gesamten Körper aus oder befallen nur einzelne Organe. Solange sich noch keine Krankheitsanzeichen (Symptome) zeigen, nennt man die Infektion asymptomatisch – bei ersten Anzeichen ist die Infektion dann symptomatisch.
Die körperlichen Symptome können sich je nach Erreger stark unterscheiden: Salmonellen – Bakterien, die in Lebensmitteln gefunden werden – können zum Beispiel zu Durchfall, Erbrechen, Bauchschmerzen, Fieber und einer Blutvergiftung führen. Eine Infektion mit dem Varizella-Zoster-Virus verursacht Windpocken und äußert sich wiederum durch Fieber und juckende Bläschen auf der Haut.
Die Inkubationszeit beschreibt die Zeit, die zwischen der Ansteckung mit einem Krankheitserreger und dem Auftreten der ersten Symptome liegt. Sie kann unterschiedlich lange dauern: Wenige Stunden oder auch mehrere Tage oder Jahre. Nicht immer führt eine Infektion auch zu einem Ausbruch der Krankheit.
2. Welche Infektionen können zu Diabetes führen?
Es gibt mehrere Viren, die mit Diabetes mellitus in Verbindung gebracht werden. Zwar entwickelt nur eine kleine Anzahl der Infizierten tatsächlich die Stoffwechselerkrankung – die Studienlage weist jedoch darauf hin, dass das Risiko für Diabetes nach bestimmten Infektionen erhöht sein könnte.
Viren, die in Verbindung mit Diabetes mellitus stehen könnten:
- Mumps-Virus
- Röteln-Virus
- Influenza-Virus
- Hepatitis-A-Virus
- Hepatitis-C-Virus
- Enterovirus
- Rotavirus
- Herpes-Viren (Cytomegalovirus und Herpes-simplex-Virus 2 (HSV2))
- Varizella-Zoster-Virus
- Humanes Herpesvirus 6
- Epstein-Barr-Virus
- Coronavirus SARS-CoV-2
Einige Infektionen werden im Folgenden näher betrachtet.
3. Diabetes durch Atemwegsinfektionen
Das 1. Lebenshalbjahr eines Kindes ist für die Entwicklung seines Immunsystems entscheidend. Kommt es in diesen ersten 6 Monaten zu Infektionen der Atemwege, steigt das Risiko, später an Typ-1-Diabetes zu erkranken.
Bisher ist bekannt, dass es bei Kleinkindern mit erhöhtem Typ-1-Diabetes-Risiko in den ersten 3 Lebensjahren kurz vor der Bildung von Autoantikörpern einen vorübergehenden Anstieg in der Expression von Genen gibt, die mit einer antiviralen Interferon (IFN)-Immunantwort einhergehen. Die Interferon-Antwort ist dabei die Immunreaktion, die jede Körperzelle ohne das Immunsystem leisten kann. Es konnte gezeigt werden, dass dieser Anstieg häufig kurz nach einer Atemwegserkrankung aufgetreten ist. Expertinnen und Experten haben jedoch noch nicht abschließend geklärt, wie das vermutete Zusammenspiel zwischen Atemwegsinfektionen und der Entstehung von Typ-1-Diabetes abläuft.
Auslöser von Atemwegsinfektionen können beispielsweise Enteroviren sein. Sie werden meist durch Tröpfcheninfektion, also kleinste Speichel- oder Schleimtröpfchen beim Sprechen, Husten und Niesen, oder direkt über den Kontakt mit Speichel oder Stuhl übertragen.
Effektive Schutzmaßnahmen gegen Enteroviren sind gründliches Händewaschen und gegebenenfalls Desinfizieren, Speisen abkochen und Taschentücher nur einmal zu verwenden. Ein Impfstoff steht bislang nicht zur Verfügung.
Gut zu wissen:
Bis heute ist nicht genau geklärt, welche Atemwegsinfektionen das Risiko für Typ-1-Diabetes erhöhen. Eltern sollten daher nicht in Sorge geraten, wenn ihr Kind eine Atemwegsinfektion bekommt oder bereits eine solche durchgemacht hat.
4. Diabetes durch die Hand-Fuß-Mund-Krankheit
Viele Eltern kennen die Hand-Fuß-Mund-Krankheit aus der Kinderkrippe oder dem Kindergarten. Kinder – aber auch Erwachsene – bekommen dann lästige Bläschen an Händen und Füßen sowie wunde Stellen auf Zunge, Zahnfleisch und Gaumen. Manche haben auch grippeähnliche Symptome wie Schüttelfrost und Fieber.
Die Hand-Fuß-Mund-Krankheit wird durch Coxsackie-Viren ausgelöst, die meist über den Stuhl übertragen werden. Sie gehören zur Gattung der Enteroviren und werden daher ebenfalls als Auslöser für Typ-1-Diabetes vermutet. Derzeit wird an einem Impfstoff gegen das Coxsackie-Virus B im Tiermodell geforscht, um eine Entstehung von Typ-1-Diabetes zu verhindern.
5. Diabetes durch Hepatitis
Bei einer Hepatitis handelt es sich um eine Entzündung der Leber. Starker Alkoholkonsum, Giftstoffe, Medikamente und bestimmte Erkrankungen können eine Hepatitis auslösen. Häufiger Auslöser sind jedoch Viren, wie das Hepatitis-A- oder Hepatitis-C-Virus.
Hepatitis A
In den letzten Jahren häufen sich immer mehr Hinweise, dass das Hepatitis-A-Virus mit Diabetes in Verbindung steht. Belegt ist bereits, dass Menschen mit Diabetes ein höheres Risiko haben, an Hepatitis A zu erkranken. Ob Hepatitis A tatsächlich Diabetes begünstigen kann, ist allerdings noch nicht abschließend geklärt.
Hepatitis-A-Viren werden über den Stuhl ausgeschieden. Eine Ansteckung erfolgt dann, wenn sie über den Mund aufgenommen werden wie zum Beispiel über kontaminierte Lebensmittel, die mit Fäkalien gedüngt wurden. Weitere Ansteckungswege sind Schmierinfektion durch kleinste Spuren von Stuhlresten an den Händen oder an Gegenständen sowie über den Kontakt mit Blut. Schützen kann man sich durch regelmäßiges Händewaschen sowie eine Impfung. In Gebieten, in denen Hepatitis A verbreitet ist, sollte auf besondere Hygiene geachtet werden.
Hepatitis C
Weltweit sind 71 Millionen Menschen chronisch mit dem Hepatitis-C-Virus infiziert. Es wird hauptsächlich durch den Kontakt mit infiziertem Blut übertragen. Eine Infektion kann zu schweren Leberschädigungen, wie beispielsweise einer Leberzirrhose führen.
Studien weisen darauf hin, dass Hepatitis C auch Typ-2-Diabetes auslösen kann. Das Risiko dafür beträgt bei Menschen mit Hepatitis 15 Prozent – also etwa jede 7. Person. Noch höher ist das Risiko, wenn bereits eine Leberzirrhose, Übergewicht oder Diabetes in der Familie vorhanden ist.
Eine Impfung gegen Hepatitis C gibt es noch nicht. Der einzig wirksame Schutz besteht darin, nicht mit infiziertem Blut in Berührung zu kommen. Dieses Risiko besteht zum Beispiel durch benutzte Spritzen, schlecht gereinigte Tätowiernadeln oder beim Geschlechtsverkehr. Wenn Hepatitis C erkannt wird, kann die Infektion mittlerweile fast immer medikamentös sicher behandelt werden.
Hier erhalten Sie weitere Informationen zu Diabetes und Lebergesundheit.
6. Diabetes durch Parodontitis
Eine Parodontitis ist eine Entzündung des Kieferknochens, die unbehandelt nicht nur zum Verlust einzelner Zähne, sondern auch zu Diabetes führen kann. Lange wurde unterschätzt, wie stark sich die Entzündungen im Kiefer auf den gesamten Körper auswirken: Sie gelangen in den Blutkreislauf und beeinflussen so den Stoffwechsel.
Menschen mit einer Parodontitis haben ein doppelt so hohes Risiko, an Typ-2-Diabetes zu erkranken, wie Menschen mit gesundem Zahnfleisch.
Umgekehrt kann ein Diabetes aber auch zu einer Parodontitis führen: Menschen mit Diabetes haben ein 3-fach erhöhtes Risiko für eine Entzündung am Kieferknochen. Etwa 75 von 100 Menschen mit Diabetes haben Entzündungen an der Mundschleimhaut. Zudem wird die Blutzuckereinstellung schwieriger: Bei einer Parodontitis verringert sich die Wirkung des Insulins. Eine gute Blutzuckereinstellung und eine ausgiebige Mundhygiene können eine Entzündung am Kieferknochen verhindern.
Hier erhalten Sie weitere Informationen zu Diabetes und Zahngesundheit.
7. Diabetes durch Röteln und Mumps
Erkrankungen, die sich auf die Bauchspeicheldrüse auswirken, können grundsätzlich immer zu Diabetes führen. Denn die Bauchspeicheldrüse produziert das lebenswichtige und blutzuckersenkende Hormon Insulin. Laut Studien schädigen die Viren von Röteln und Mumps die insulinproduzierenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse.
Kongenitale Röteln sind eine virale Infektion, die während der Schwangerschaft von der Mutter auf das Neugeborene übertragen wird. Die Erreger können verschiedene Organe befallen. So auch die Bauchspeicheldrüse, die daraufhin kein Insulin mehr produzieren kann. Fachleute schätzen, dass etwa 1 bis 6 von 100 Personen mit Rötelnsyndrom Typ-1-Diabetes im Kindes- oder Jugendalter entwickeln. Der Mechanismus für diesen Zusammenhang ist noch unbekannt. Darüber hinaus haben Studien gezeigt, dass das Risiko für Typ-2-Diabetes erhöht ist. Dank der Impfprogramme sind diese Erkrankungen selten geworden.
Weitere Informationen zu Diabetes durch Bauchspeicheldrüsenerkrankungen finden Sie hier.
8. Diabetes durch eine Coronavirus-Infektion (SARS-CoV-2)
Ob eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 einen Diabetes mellitus auslösen kann, ist noch nicht abschließend geklärt. So wurde in einer Studie untersucht, ob eine frühere Coronavirus-Infektion bei Kindern in Verbindung mit einem Typ-1-Diabetes-Frühstadium steht. Die Forschenden konnten hierbei keinen statistischen Zusammenhang finden. Eine weitere Studie zeigt jedoch, dass in den Jahren 2020 bis 2021 häufiger Typ-1-Diabetes diagnostiziert wurde, wenn die Kinder zuvor COVID-19 hatten. Die genaue Ursache dafür ist aber noch unklar.
Für Typ-2-Diabetes deuten die Ergebnisse einer Studie auf einen Zusammenhang zwischen überwiegend milden COVID-19-Erkrankungen und neu diagnostiziertem Typ-2-Diabetes hin. Ähnliches wurde für viele andere Infektionskrankheiten berichtet. Somit könnten auch andere Faktoren als die Virusinfektion selbst zu einem Typ-2-Diabetes führen. Weitere Studien sind nötig, um den Zusammenhang zwischen einer Coronavirus-Infektion und Diabetes mellitus zu untersuchen.
Mehr Informationen zu „Coronavirus und Diabetes“ lesen Sie hier.
Quellen:
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Stand: 26.06.2023