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Diabetes durch Medikamente

Wissenschaftliche Unterstützung: Prof. Dr. Martin Heni, Dr. Oana Patricia Zaharia

Eine Diabetes-Erkrankung kann auch durch die Einnahme von bestimmten Medikamenten, oder selten durch den Kontakt mit Giftstoffen ausgelöst werden.

Es kann dann sowohl zu erhöhten Blutzuckerwerten und Überzuckerungen als auch zur vermehrten Ausschüttung von Insulin und infolgedessen zu Unterzuckerungen kommen. Das Risiko, Diabetes zu entwickeln ist dadurch erhöht. Das Risiko steigt außerdem, wenn weitere Risikofaktoren für Typ-2-Diabetes vorliegen.

Häufig verschwindet der Diabetes wieder, sobald die Medikamente nicht mehr eingenommen werden oder kein Kontakt mehr zu den Chemikalien besteht. In seltenen Fällen können die Stoffe jedoch auch die insulinproduzierenden Betazellen der Bauchspeicheldrüse dauerhaft zerstören. Dann kommt es zu einem Insulinmangel-Diabetes, der dauerhaft bestehen bleibt.

Durch welche Medikamente und Hormone kann ein Diabetes ausgelöst werden?

Die folgende Liste (in alphabetischer Reihenfolge) spiegelt einige Medikamente und Präparate wider, bei denen wissenschaftlich belegt ist, dass sie einen Einfluss auf den Zuckerstoffwechsel haben und möglicherweise einen Diabetes auslösen können.



1. Diabetes durch Alpha-Interferone

Interferone sind Proteine, die unter anderem vor viralen Infektionen schützen und eine anti-tumorale Wirkung haben. Als Medikament wird Alpha-Interferon zur Therapie von Krebserkrankungen oder Multipler Sklerose eingesetzt.

Studien haben gezeigt, dass die Behandlung mit Alpha-Interferon in seltenen Fällen zur Entwicklung eines Typ-1-Diabetes führen kann. Dabei kommt es zu einer Zerstörung der insulinproduzierenden Betazellen der Bauchspeicheldrüse durch das eigene Immunsystem. Es entsteht ein insulinabhängiger Diabetes, der bei den meisten Patientinnen und Patienten dauerhaft bestehen bleibt.


2. Diabetes durch Asparaginase

Zur Behandlung von akuter Leukämie und anderen Krebserkrankungen wird das Medikament Asparaginase eingesetzt. Eine bekannte Nebenwirkung sind erhöhte Blutzuckerwerte bis hin zur Überzuckerung. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vermuten, dass der erhöhte Blutzuckerspiegel durch eine verringerte Insulinfreisetzung und eine gesteigerte Insulinresistenz ausgelöst wird.

Zusätzlich könnte die Behandlung mit Asparaginase dazu führen, dass vermehrt Zucker (Glukose) aus der Leber ins Blut abgegeben wird.

Asparaginase wird oft zusammen mit weiteren Immunsuppressiva in der Therapie von Krebserkrankungen eingesetzt. Manche Immunsuppressiva werden ebenfalls mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung eines Diabetes verbunden. Dadurch verstärkt sich ihre negative Wirkung auf den Zuckerstoffwechsel zusätzlich.


3. Diabetes durch Betablocker

Betablocker sind – wie auch die Thiazid-Diuretika – Arzneimittel, um Bluthochdruck und Herzkrankheiten zu behandeln. Trotz ihres positiven Effekts auf das Herz-Kreislauf-System können sie das Risiko geringfügig steigern, erhöhte Blutzuckerwerte und einen Diabetes zu entwickeln.

Der Grund dafür ist, dass Betablocker zu einer verringerten Insulinausschüttung und einer verringerten Insulinwirkung (Insulinresistenz) an den Körperzellen führen können. Andere mögliche Wirkmechanismen, die den Zuckerstoffwechsel beeinflussen könnten, werden aktuell noch untersucht.

Gut zu wissen:

Liegt bereits eine Diabetes-Erkrankung vor, können die Symptome einer Unterzuckerung durch die Einnahme von Betablockern verschleiert werden. Die Patientinnen und Patienten bemerken die Anzeichen einer Unterzuckerung dann möglicherweise gar nicht oder erst sehr spät.


4. Diabetes durch Beta-Sympathomimetika

Unter dem Begriff Beta-Sympathomimetika werden Arzneimittel zusammengefasst, die vor allem zur Therapie von Asthma und Lungenkrankheiten eingesetzt werden.

Allerdings können sie auch den Zuckerstoffwechsel beeinflussen. Dies geschieht, indem der Wirkstoff die Zuckerproduktion in der Leber anregt und die Insulinresistenz der Körperzellen verstärkt. Als Folge steigt der Blutzuckerspiegel an und es kann zu einer Überzuckerung kommen.


5. Diabetes durch Checkpoint-Inhibitoren

Checkpoint-Inhibitoren sind Medikamente, die die körpereigene Immunabwehr aktivieren, um gegen Krebszellen zu kämpfen. Sie haben die Behandlung für verschiedene, früher kaum behandelbare Krebserkrankungen revolutioniert. In den letzten Jahren wird immer deutlicher, dass die Checkpoint-Inhibitoren als Nebenwirkung auch Autoimmunerkrankungen wie Typ-1-Diabetes auslösen können. Für Menschen, die eine Behandlung mit Checkpoint-Inhibitoren erhalten haben, sind deshalb regelmäßige Kontrollen des Blutzuckers ratsam. Auch sollten die Symptome eines Typ-1-Diabetes bekannt sein, damit die Erkrankung gegebenenfalls frühzeitig erkannt werden kann.


6. Diabetes durch Glukokortikoide (Kortison)

Umgangssprachlich werden Glukokortikoide auch unter dem Begriff „Kortison" zusammengefasst. Sie zählen zu den synthetischen Steroidhormonen. Daher wird eine durch Glukokortikoide ausgelöste Diabetes-Erkrankung auch Steroid-Diabetes genannt. Aufgrund ihrer entzündungshemmenden Wirkung werden die Glukokortikoide häufig zur Behandlung von Entzündungskrankheiten eingesetzt, zum Beispiel Asthma oder Rheuma. Zusätzlich wird Kortison auch bei der Therapie von Autoimmunerkrankungen wie Multipler Sklerose oder Krebserkrankungen sowie nach Organtransplantationen angewendet.

Allerdings haben Glukokortikoide, in Abhängigkeit von der Höhe der Dosis, auch mehrere unerwünschte Nebenwirkungen. Unter anderem wirken sie sich auf den Zuckerstoffwechsel aus. Durch unterschiedliche Mechanismen erhöhen Glukokortikoide den Blutzuckerspiegel:

  • Glukokortikoide hemmen die Zuckeraufnahme der Muskel-, Leber- und Fettgewebszellen. Es kann zu einer Insulinresistenz kommen.
  • Gleichzeitig regen Glukokortikoide die Produktion von Zuckermolekülen in der Leber an. Dies führt dazu, dass vermehrt Zucker (Glukose) aus der Leber ins Blut abgegeben wird.
  • Außerdem bestehen Hinweise, dass sich Glukokortikoide negativ auf die insulinproduzierenden Betazellen der Bauchspeicheldrüse auswirken können, indem sie die Insulinfreisetzung hemmen.

Um frühzeitig zu bemerken, ob sich ein Diabetes durch die Anwendung von Kortison entwickelt, können zu Beginn und während der Therapie Blutzuckermessungen durchgeführt werden. Werden die Medikamente nicht mehr benötigt und abgesetzt, kann sich der Diabetes wieder vollständig zurückentwickeln.


7. Diabetes durch Immunsuppressiva

Medikamente der Gruppe der Immunsuppressiva wirken sich auf das Immunsystem aus, indem sie die Funktionen des körpereigenen Immunsystems unterdrücken. Sie werden nach Organtransplantationen eingesetzt, um die Abstoßung des Organs zu verhindern sowie für manche Krebstherapien. Manchmal tritt dann ein Diabetes mellitus neu auf.

Neben den Glukokortikoiden zählen auch die sogenannten Calcineurin-Inhibitoren zu den Immunsuppressiva. Ihre Einnahme ist ebenfalls mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung eines Diabetes verbunden. Medizinerinnen und Mediziner gehen davon aus, dass die Arzneistoffe toxisch an den Betazellen der Bauchspeicheldrüse wirken und zu einer verminderten Insulinausschüttung führen.

Ob noch weitere Immunsuppressiva einen Effekt auf den Zuckerstoffwechsel haben, ist bisher nicht bekannt.


8. Diabetes durch Antipsychotika (Neuroleptika)

Die Einnahme von Antipsychotika, speziell der atypischen Antipsychotika Olanzapin und Clozapin, konnte in mehreren Studien mit einer ungünstigen Wirkung auf den Zuckerstoffwechsel in Verbindung gebracht werden. Je nach Substanzklasse ist das Risiko für die Erhöhung des Blutzuckers sowie ihr Ausmaß unterschiedlich stark. Männer und Jungen scheinen stärker betroffen zu sein als Frauen und Mädchen.

Gut zu wissen:

Antipsychotika sind Arzneimittel, die zur Behandlung von psychischen Erkrankungen eingesetzt werden. Generell wird zwischen konventionellen und atypischen Antipsychotika unterschieden. Früher nannte man diese Arzneimittel auch Neuroleptika. Der Begriff wird aber zunehmend von Antipsychotika ersetzt, da dieser die Wirkung der Substanzen besser beschreibt.

Der Wirkmechanismus dieser Medikamente auf den Blutzuckerspiegel ist noch nicht vollständig bekannt. Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass Antipsychotika die Insulinsensitivität der Körperzellen reduzieren und dadurch eine Insulinresistenz auslösen. Häufig nehmen die Patientinnen und Patienten mit der Einnahme von Antipsychotika deutlich an Körpergewicht zu. Das kann ebenfalls zu einer Insulinresistenz führen. Des Weiteren wird diskutiert, ob Antipsychotika eine Funktionseinschränkung der insulinproduzierenden Betazellen der Bauchspeicheldrüse bewirken können.


9. Diabetes durch Pentamidin

Pentamidin ist ein Wirkstoff gegen Krankheiten, die durch einzellige Erreger (Protozoen) ausgelöst werden. Unter dem Handelsnamen Pentacarinat® wird er in der Tropenmedizin, zum Beispiel zur Behandlung der Infektionskrankheiten Leishmaniose und der Schlafkrankheit, eingesetzt.

Eine bekannte Nebenwirkung ist der Einfluss von Pentamidin auf den Zuckerstoffwechsel. Durch die Einnahme des Wirkstoffs kann eine toxische Reaktion an den insulinproduzierenden Betazellen der Bauchspeicheldrüse ausgelöst werden. Dabei kommt es zuerst zu einer vermehrten Freisetzung von Insulin, gefolgt von einer Unterzuckerung. Im 2. Schritt führt das Pentamidin zu einer Zerstörung der Betazellen. Dadurch entwickelt sich ein insulinabhängiger Diabetes.


10. Diabetes durch Schilddrüsenhormone

Die beiden Hormone Trijodthyronin und Thyroxin – kurz T3 und T4 – werden in der Schilddrüse gebildet. Die Schilddrüsenhormone spielen eine wichtige Rolle bei der Steuerung vieler Stoffwechselprozesse, zum Beispiel beim Energie- und Fettstoffwechsel, und Körperfunktionen wie der Darmtätigkeit oder der Herz- und Gehirnaktivität.

Liegt eine Unter- oder Überfunktion der Schilddrüse vor, kann sich dies auch auf den Zuckerstoffwechsel auswirken. Bei einer Schilddrüsen-Überfunktion reagieren die Körperzellen nicht mehr so empfindlich auf Insulin. Es entwickelt sich eine Insulinresistenz. Zusätzlich wird vermehrt Zucker (Glukose) über den Darm ins Blut aufgenommen und die Leber dazu angeregt, vermehrt Glukose aus ihren Speichern ins Blut abzugeben. Dies führt dazu, dass der Blutzuckerspiegel ansteigt. Häufig entwickelt sich dann ein Diabetes. Durch eine Behandlung der Schilddrüsen-Überfunktion normalisiert sich der Zuckerstoffwechsel jedoch meist wieder.

Werden Schilddrüsenhormone als Tablette in der korrekten Dosis eingenommen, haben sie keinen ungünstigen Effekt auf das Diabetes-Risiko.

Gut zu wissen:

Liegt bereits eine Diabetes-Erkrankung vor, kann eine unbehandelte Schilddrüsen-Überfunktion zu Überzuckerungen (Hyperglykämien) beitragen.

Eine Schilddrüsen-Unterfunktion führt hingegen bei Menschen mit Diabetes zu einer Verbesserung der Insulinempfindlichkeit der Körperzellen. Dies kann speziell bei Patientinnen und Patienten mit einem insulinbehandelten Diabetes oder bei der Einnahme von blutzuckersenkenden Medikamenten zu Unterzuckerungen führen.


11. Diabetes durch Statine

Statine sind die am häufigsten verwendeten Medikamente zur Cholesterinsenkung. Sie haben eine positive Wirkung auf das Herz-Kreislauf-System, indem sie das Risiko für Herz- und Gefäß-Erkrankungen, wie beispielsweise für einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall, reduzieren.

In mehreren Studien konnte jedoch auch gezeigt werden, dass die Einnahme von Statinen das Risiko für die Entwicklung einer Diabetes-Erkrankung geringgradig erhöhen kann. Dabei ist der genaue Wirkmechanismus der Statine auf den Zuckerstoffwechsel unbekannt. Zusätzlich zeigte sich eine Auswirkung auf den Zuckerstoffwechsel überwiegend bei Personen, die einen oder mehrere Risikofaktoren für Diabetes, zum Beispiel ein hohes Alter, Übergewicht oder Prädiabetes, aufwiesen. Vor diesem Hintergrund wird vermutet, dass Statine eventuell bei Menschen mit einem erhöhten Typ-2-Diabetes-Risiko die Manifestation des Diabetes beschleunigen könnten.

Allerdings überwiegt der Nutzen der Statine insgesamt deutlich. Auch bei Menschen mit Diabetes senken Statine und andere Cholesterinsenker das Risiko für einen Herzinfarkt und Schlaganfall deutlich und werden deswegen sehr häufig angewendet.


12. Diabetes durch Thiazid-Diuretika

Thiazid-Diuretika sind Medikamente, die überwiegend zur Behandlung von Bluthochdruck eingesetzt werden. Sie wirken in den Nieren und fördern die Harnproduktion. Mehrere Studien zeigen jedoch, dass die Einnahme von Thiazid-Diuretika auch in Verbindung mit einem leicht erhöhten Risiko für die Entwicklung eines Diabetes steht.

Mehrere mögliche Wirkmechanismen von Thiazid-Diuretika auf den Zuckerstoffwechsel stehen in der Diskussion. Die genauen Ursachen sind jedoch weiterhin unklar.

Quellen:

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Oetzel, S.: Wenn Medikamente Diabetes auslösen: Wissenswertes rund um den Steroid-Diabetes. In: DAZ, 2021, 36: 34
Pharmazeutische Zeitung: Diabetespatienten: Vorsicht, Betablocker! (Letzter Abruf: 25.07.2023)
Tittel, S. R. et al.: Checkpoint-Inhibitor-Therapie als Auslöser für Autoimmun-Diabetes. In: Diabetologie und Stoffwechsel, 2021, 16: S4
Stand: 25.07.2023