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Neue Studienergebnisse

Lassen sich Diabetes-Komplikationen von Kindern und Jugendlichen voraussagen?

Wissenschaftliche Unterstützung: Prof. Dr. Anette-Gabriele Ziegler, PD Dr. Katharina Warncke

Die aktuelle klinische Forschung schlägt eine diversere Klassifizierung des Diabetes mellitus im Kindes- und Jugendalter vor. Anhand einer Einteilung in 10 Subgruppen mittels weniger, gängiger Parameter lässt sich das Risiko für Diabetes-Komplikationen abschätzen. Das birgt Chancen für die individualisierte Therapie.

 

Diabetes im Kindes- und Jugendalter – komplexer als gedacht?

Diabetes mellitus im Kindes- und Jugendalter wird derzeit nach den allgemein gültigen Leitlinien in Typ-1- und Typ-2-Diabetes sowie andere spezifische Diabetes-Typen wie MODY-Diabetes, neonataler Diabetes, verschiedene Syndrome mit Diabetes und andere Formen eingeteilt.

An dieser Klassifizierung orientiert sich in der Regel die empfohlene Therapie. In der klinischen Praxis zeigt sich jedoch eine gewisse Variabilität bei den klinischen Phänotypen, dem Krankheitsverlauf und der Prognose. Fachleute diskutieren deshalb seit längerer Zeit, ob die derzeitige Klassifizierung das Krankheitsbild Diabetes mellitus bei Kindern und Jugendlichen ausreichend widerspiegelt.

 

Bieten neue Subgruppen Vorteile für die personalisierte Therapie?

Eine Forschungsgruppe von unter anderem Helmholtz Munich und dem Deutschen Zentrum für Diabetesforschung (DZD) hatte im Jahr 2022 eine Studie veröffentlicht, in der sie Diabetes im Kindes- und Jugendalter zum Zeitpunkt der Manifestation in 10 Subgruppen einteilte. Die Subgruppen lassen sich anhand von wenigen, in der Praxis bereits vorliegenden Parametern klassifizieren. Neben dem HbA1c-Wert, Alter und Body-Mass-Index (BMI) zum Zeitpunkt der Manifestation wird zudem die Bestimmung von Insel-Autoantikörpern benötigt.

Die Forschenden untersuchten nun, ob sich diese 10 Subgruppen eignen, um Unterschiede in Bezug auf die Entwicklung von diabetischen Komplikationen zu untersuchen und vorherzusagen. Im Speziellen schauten sie dabei auf das kumulative Risiko für eine schwere Hypoglykämie, diabetische Ketoazidose, Retinopathie und Nephropathie.

In Zusammenarbeit mit Forschenden der Initiative Diabetes-Patienten-Verlaufsdokumentation (DPV) der Universität Ulm klassifizierten sie dafür im Nachhinein 22.719 Personen aus dem Diabetes-Patienten-Follow-Up Register entsprechend der 7 Insel-Autoantikörper-positiven Subgruppen (P1 bis P7, n = 19.811) und der 3 Insel-Autoantikörper-negativen Subgruppen (N1 bis N3, n = 2.908). Diabetes-Beginn war bei allen Personen vor dem 18. Lebensjahr. Die mediane Nachbeobachtungszeit lag bei etwa 7 Jahren und es wurden nur Daten seit dem Jahr 2000 berücksichtigt.

 

Subgruppen unterscheiden sich in ihrem Risiko für Diabetes-Komplikationen

In Hinsicht auf die Diabetes-Komplikationen konnten zwischen den verschiedenen Subgruppen Unterschiede festgestellt werden. In Übereinstimmung mit früheren Berichten hatten die Subgruppen mit dem höchsten C-Peptidwert bei Diabetes-Manifestation (P2, P5, P7, N3) ein geringeres Risiko für Hypoglykämien. Eine Ausnahme bildete die Subgruppe N1: Trotz restlichem C-Peptid wies diese Untergruppe ein ausgeprägtes Risiko für schwere Hypoglykämien auf. Die Forschenden vermuten, dass dieses möglicherweise auf die Behandlung des monogenen Diabetes oder auf eine schlechtere Gegenregulation aufgrund des monogenen Diabetes selbst zurückzuführen ist.

Menschen mit Typ-1-Diabetes, hohem BMI und Bluthochdruck (Untergruppe P7) hatten ein erhöhtes Risiko für Komplikationen wie Retinopathie und diabetische Ketoazidose. Dies konnte auch bereits in früheren Untersuchungen bestätigt werden.

Innerhalb der Studie zeigte sich außerdem, dass Personen mit Typ-2-Diabetes (Untergruppe N3) ein vergleichbares oder geringeres Risiko für diabetische Komplikationen hatten als alle anderen Untergruppen. Ausnahme hierbei waren Teilnehmende mit erhöhtem Blutdruck.

Die Untergruppen, die in der vorausgegangenen Studie durch erhöhte Entzündungsmarker charakterisiert waren (P1, P3, N2), wiesen ähnliche Verlaufsprofile mit einem ausgeprägten Risiko für schwere Hypoglykämien auf. Gleichzeitig gehörten sie aber zu den Subgruppen mit den niedrigsten Risiken für andere Komplikationen. Dies deutet darauf hin, dass möglicherweise ein akuter Diabetes-Ausbruch vorlag, der durch eine frühzeitige, entzündungshemmende Behandlung verbessert werden könnte. Zu den 3 Subgruppen gehörten fast 50 Prozent der untersuchten Personen mit Diabetes.

2 Subgruppen (P2, P5), die etwa 5 Prozent aller untersuchten Personen mit Diabetes umfassen, hatten ein deutlich höheres Risiko für eine Nephropathie. Die Untergruppe P5 war zudem die einzige Untergruppe, die sowohl ein stark erhöhtes Risiko für eine Retinopathie als auch für eine Nephropathie aufwies. Beide Subgruppen hatten einen vergleichsweise milden Diabetes-Beginn, der durch restliches C-Peptid, einen niedrigen HbA1c-Wert und eine sehr geringe Anzahl an diabetischen Ketoazidosen gekennzeichnet war. Außerdem waren beide Subgruppen durch einen Diabetes-Beginn in der späten Kindheit oder im Jugendalter geprägt.

 

Kinder und Jugendliche könnten durch differenziertere Einteilung profitieren

Die Forschenden sehen in der Einteilung der Patientinnen und Patienten mit Diabetes im Kindes- und Jugendalter in die 10 Subgruppen anhand der in der Praxis vorliegenden Parameter bedeutende Vorteile. So könnten Personengruppen mit einem erhöhten Risiko für Diabetes-Komplikationen wie schwere Hypoglykämien, diabetische Ketoazidosen, Nephropathie und Retinopathie von einer individuellen Kontrolle und Aufklärung sowie Maßnahmen zur Vermeidung von Komplikationen profitieren.

Eine Einschränkung der Auswertung ist, dass die Nephropathie und insbesondere die Retinopathie erst viele Jahre nach der Diabetes-Manifestation und auch häufiger erst im Erwachsenenalter auftreten. Daher ist eine längere Nachbeobachtungszeit erforderlich, um das Risiko für diese Diabetes-Komplikationen zwischen den einzelnen Subgruppen noch genauer bestimmen zu können.

 

Quellen:

Achenbach, P. et al.: A classification and regression tree analysis identifies subgroups of childhood type 1 diabetes. In: eBioMedicine, 2022, 82: 104118

Warncke, K. et al.: Characterisation and clinical outcomes in children and adolescents with diabetes according to newly defined subgroups: a cohort study from the DPV registry. In: eClinicalMedicine, 2023, 102208