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Genetische Risikofaktoren für Diabetes Typ 2

Wissenschaftliche Unterstützung: Prof. Dr. Johannes Beckers

Das Risiko, an Typ-2-Diabetes zu erkranken, setzt sich aus mehreren Faktoren zusammen. Die Vererbung spielt dabei eine wichtige Rolle. Es sind eine Vielzahl von genetischen Merkmalen bekannt, die das Entstehen der Stoffwechselerkrankung begünstigen.

Allerdings wird über die Gene nur eine Veranlagung für Typ-2-Diabetes vererbt und nicht die Erkrankung selbst. Und auch ohne vererbte Veranlagung kann sich im Laufe des Lebens ein Typ-2-Diabetes entwickeln.

Ob aus einer Veranlagung tatsächlich irgendwann ein Typ-2-Diabetes entsteht, entscheiden in der Regel äußere Einflüsse wie der eigene Lebensstil. Im Mittelpunkt stehen dabei die Ernährung, körperliche Aktivität und das Vorhandensein von Übergewicht.



1. Ist Diabetes Typ 2 vererbbar?

An der Entstehung von Typ-2-Diabetes sind eine Reihe von Ursachen beteiligt. Eine davon ist die Vererbung genetischer Merkmale. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben weit über 100 Genorte identifiziert, die mit Typ-2-Diabetes in Zusammenhang gebracht werden. Über die Gene kann die Veranlagung für eine Typ-2-Diabetes-Erkrankung von einer Generation auf die nächste weitergegeben werden.

Menschen, deren Mutter oder Vater von Typ-2-Diabetes betroffen ist, haben im Vergleich zu Personen ohne familiäre Vorbelastung, ein etwa 1,7-fach erhöhtes Risiko, im Laufe des Lebens selbst an Typ-2-Diabetes zu erkranken. Sind beide Elternteile betroffen, ist das Risiko fast 3-fach erhöht.

Tatsächlich entsteht allein aus der Vererbung noch kein Typ-2-Diabetes. Hierzu kommt es erst, wenn neben der genetischen Veranlagung weitere Lebensstilfaktoren hinzukommen. Dazu gehören zum Beispiel Bewegungsmangel, Übergewicht und/oder eine ungesunde Ernährung.

Der Lebensstil kann Einflüsse auf die Aktivität der Gene haben, die für den Zuckerstoffwechsel relevant sind. Forschende sprechen in diesem Fall von sogenannten epigenetischen Faktoren, die das Risiko für einen Typ-2-Diabetes verändern.

Gut zu wis­sen:

Neben der Vererbung spielen auch Umweltfaktoren und Lebensgewohnheiten eine Rolle bei der Entstehung von Typ-2-Diabetes. Und: Auch ohne vererbte Veranlagung kann sich ein Typ-2-Diabetes entwickeln.


2. Was sind Gene und was ist Epigenetik?

Auf den Genen liegt die Erbinformation, die den „Bauplan“ eines Menschen bestimmt. Beispielsweise ist in den Genen festgelegt, welche Haar-, Haut- oder Augenfarbe eine Person hat. Die Informationen, die von den Genen abgelesen und in Proteine übersetzt werden, sind auch für den Stoffwechsel und andere Körperfunktionen verantwortlich.

Die Epigenetik ist ein junger Forschungszweig, der sich mit der Verbindung zwischen den nicht veränderbaren Erbinformationen der Gene und den veränderbaren äußeren Faktoren befasst. Zu den äußeren Faktoren zählt der eigene Lebensstil (zum Beispiel körperliche Aktivität und Ernährungsgewohnheiten). Dieser kann epigenetische, das heißt auf die Genetik „aufsetzende“, Einflüsse haben.

Epigenetische Einflüsse verändern auf chemischem Weg die Aktivität der Gene. Solche Veränderungen steuern, wie stark oder schwach Informationen vom Gen abgelesen und im Körper umgesetzt werden. Wenn dabei Gene des Stoffwechsels betroffen sind, kann dies einen Typ-2-Diabetes begünstigen oder – je nach Art der epigenetischen Einflussfaktoren – auch der Erkrankung vorbeugen.

Gut zu wis­sen:

Der eigene Lebensstil wirkt sich auf den gesamten Zucker- und Fettstoffwechsel aus. Über epigenetische Mechanismen bewirken Lebensstilfaktoren auch Veränderungen beim Ablesen stoffwechselrelevanter Gene.


3. Welche Rolle spielen Umwelt- und Lebensstilfaktoren bei der Entstehung von Diabetes Typ 2?

Eine wichtige Entdeckung der letzten Jahre ist, dass nicht nur die Gene, sondern auch epigenetische Faktoren vererbt werden können. Im Mausmodell konnten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zeigen, dass durch Ernährung verursachter Typ-2-Diabetes mittels epigenetischer Mechanismen über Eizellen und Spermien an die Nachkommen weitergegeben wurde.

Während sich die Erbinformation der Gene selbst nicht verändern lässt, können epigenetische Faktoren aktiv beeinflusst werden. Dies ist zum Beispiel durch Anpassungen des Lebensstils möglich. Die Forschung geht davon aus, dass ein Lebensstil mit gesunder Ernährung und ausreichender Bewegung die epigenetischen Faktoren bei vielen betroffenen Personen günstig beeinflusst.

Gut zu wis­sen:

In Untersuchungen bei genetisch vorbelasteten Menschen ließ sich das Risiko für Typ-2-Diabetes durch eine Ernährungsumstellung und Steigerung der körperlichen Bewegung teilweise senken.

Allerdings gibt es hier individuelle Unterschiede: Nicht alle Personen mit einem erhöhten Typ-2-Diabetes-Risiko sprechen gleichermaßen gut auf verschiedene Änderungen des Lebensstils an.


4. Was kann man tun, wenn das eigene Risiko für Diabetes Typ 2 erhöht ist?

Ist ein erhöhtes Risiko für Typ-2-Diabetes in der Familie bekannt oder werden bereits erste Veränderungen im Zuckerstoffwechsel festgestellt, können betroffene Personen versuchen aktiv gegen zu steuern. Mit Anpassungen des eigenen Lebensstils lässt sich die Typ-2-Diabetes-Erkrankung oftmals verhindern oder zumindest verzögern.

Um das eigene Risiko für Typ-2-Diabetes zu senken, bieten sich daher zum Beispiel folgende Maßnahmen an:

Gut zu wis­sen:

Beim regelmäßigen Sport- und Bewegungsprogramm sollten vor allem Ausdauer (zum Beispiel täglich 10 Minuten zügiges Gehen), aber auch Kraft (zum Beispiel Liegestützen oder Kniebeugen) und Koordination trainiert werden.


5. Wirken sich Sport und Ernährung unterschiedlich auf die Diabetes-Vorbeugung aus?

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben herausgefunden, dass sich Lebensstiländerungen nicht bei allen Menschen gleichermaßen auswirken. Zum Beispiel ist für den einen die Anpassung der Ernährungsgewohnheiten sehr wirksam, während eine andere Person möglicherweise besonders gut auf körperliche Aktivität anspricht.

Die Forschung konzentriert sich daher zunehmend auf die unterschiedlichen genetischen und epigenetischen Merkmale, die dazu beitragen, wie der individuelle Stoffwechsel auf Nahrung und auf körperliche Aktivität reagiert.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten an einer Einteilung in verschiedene Risikogruppen, um individuelle Maßnahmen zur Vorbeugung von Typ-2-Diabetes besser auf den einzelnen Menschen abzustimmen. Ziel ist es herauszufinden, welche Ernährungs- und Lebensweise für den Einzelnen besonders wirksam ist.


6. Wird sich die Diabetes Typ 2-Behandlung in Zukunft mehr an den Genen orientieren?

Die Gene und die epigenetischen Merkmale spielen für das Risiko eines Typ-2-Diabetes eine bedeutende Rolle. Neue Erkenntnisse auf diesem Gebiet könnten zukünftig dazu beitragen, durch präzise zugeschnittene, präventive Ansätze und Behandlungen, einem Typ-2-Diabetes besser vorzubeugen und bereits betroffene Personen individualisierter behandeln zu können.

Ziel ist es, bei einem geerbten erhöhten Risiko maßgeschneiderte Strategien zur Vorbeugung von Typ-2-Diabetes zu finden. So soll verhindert werden, dass die Erkrankung im Laufe des Lebens zum Ausbruch kommt. Wer bereits von Typ-2-Diabetes betroffen ist, soll außerdem von einem präziseren Einsatz der Therapiemöglichkeiten profitieren können.

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Stand: 25.01.2022