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Neue Forschungserkenntnisse

Studie ermittelt Substadien von präsymptomatischem Diabetes Typ 1 bei Kindern

Wissenschaftliche Unterstützung: Andreas Weiss

Forschenden ist es gelungen Substadien des präsymptomatischen Typ-1-Diabetes bei Kindern zu identifizieren. Durch eine detailliertere Klassifizierung eröffnen sich neue Chancen für die zukünftige Diabetesforschung, wovon betroffene Kinder profitieren können.

 

Kinder vor Ausbruch der Symptome entdecken

9 von 10 Kindern mit Typ-1-Diabetes haben keine nahen Verwandte mit der Autoimmunerkrankung. Ziel einer kürzlich erschienenen Studie war es deshalb, eine Strategie zu entwickeln, mit der ein präsymptomatischer Typ-1-Diabetes bei Kindern innerhalb der Allgemeinbevölkerung identifiziert werden kann. Kinder mit einem hohen Risiko zur Manifestation der Autoimmunerkrankung könnten zukünftig von einer Immuntherapie profitieren. Denn: Die Studienergebnisse könnten die Strategien zur Rekrutierung von Hochrisikokindern für klinische Studien des präsymptomatischen Typ-1-Diabetes zur Erforschung von potenziellen Therapien verfeinern und somit einen größeren Probandenpool ermöglichen. Derzeit fließen in klinische Studien meist nur Kinder mit einem nahen Verwandten mit Typ-1-Diabetes oder Kinder, die bereits im Stadium 2 sind, ein.

 

Die Progression von Diabetes Typ 1 vorhersagen

Die Forschenden untersuchten Blutproben von über 150.000 Kindern aus Bayern im Alter von 2 bis 10 Jahren auf Inselautoantikörper. Diese erhoben sie im Rahmen der Fr1da-Studie. Ein oraler Glukosetoleranztest (oGTT) sowie der Blutglukose-Langzeitwert (HbA1c) dienten für die Diagnose und Einteilung der Kinder mit multiplen Inselautoantikörpern in einen präsymptomatischen Typ-1-Diabetes im Stadium 1 (Normoglykämie) oder im Stadium 2 (Dysglykämie).

Insgesamt wurden bei 447 Kinder multiple Inselautoantikörper gefunden. Davon wurden 364 Kinder in die 3 konventionellen1 Typ-1-Diabetes-Stadien eingeteilt. Im Stadium 2 befanden sich zu Beginn 30 Kinder, von denen 16 einen klinischen Typ-1-Diabetes (Stadium 3) entwickelten. Die Progressionsrate lag hier bei 58,6 Prozent innerhalb von 2 Jahren. Im Laufe des Follow-ups entwickelten sich 57 Kinder weiter zu Stadium 2. Damit lag das 2-Jahres-Risiko einer Progression zu einem klinischen Typ-1-Diabetes bei den Kindern im Stadium 2 insgesamt bei 48 Prozent. Das 1-Jahres-Risiko lag bei 28 Prozent.

293 Kinder befanden sich zu Beginn der Analyse im Stadium 1. Davon konnten 287 zur Bildung eines Progression Likelihood Scores (PLS, Progressions-Wahrscheinlichkeits-Wert) aus oGTT-, HbA1c- und bestimmten Inselautoantikörperwerten (Insulinom-assoziierte Antigen-2 Autoantikörper (IA-2A)) herangezogen werden. Anhand des Scores konnten die Kinder in 2 weitere Subgruppen des Stadium 1 unterteilt werden – 1a und 1b. Für die Kinder, die unterhalb des 90. Perzentils lagen (Stadium 1a, n=258) zeigte sich eine 2-Jahres-Progressionswahrscheinlichkeit von 4,1 Prozent. Bei den Kindern über dem 90. Perzentil (n=29) zeigte sich hingegen, dass fast jedes 2. Kind einen klinischen Typ-1-Diabetes innerhalb von 2 Jahren entwickelte (46 Prozent). Diese wurden als Stadium 1b definiert. In den Stadien 2 und 1b unterschied sich die Progressionsrate nicht bedeutend voneinander. Die Kinder wiesen ein ähnlich hohes Risiko auf, in den nächsten 2 Jahren einen klinischen Typ-1-Diabetes zu entwickeln.

 

Kosten und Vorteile eines Screenings in der Allgemeinbevölkerung abwägen

Zusammengefasst diagnostizierte die Studie innerhalb der Allgemeinbevölkerung zu Beginn

  • 41 Kinder (0,027 Prozent) mit nicht-diagnostiziertem klinischen Typ-1-Diabetes (Stadium 3) sowie
  • 59 Kinder (0,038 Prozent), die einen nicht-diagnostizierten präsymptomatischen Typ-1-Diabetes im Stadium 2 oder 1b hatten.

Diese wiesen insgesamt ein 2-Jahres-Risiko von 50 Prozent auf, einen klinischen Typ-1-Diabetes zu entwickeln.

Die Forschenden sehen in den Subtypen des präsymptomatischen Typ-1-Diabetes bei Kindern die Chance, Hochrisikokinder im Stadium 1b zu identifizieren, die von der Teilnahme an klinischen Studien zum präsymptomatischen Typ-1-Diabetes profitieren könnten. Des Weiteren könnte ein Screening auf Bevölkerungsebene eine bedeutende Anzahl an Kinder mit nicht-diagnostiziertem Typ-1-Diabetes im Stadium 3 identifizieren und diese womöglich vor den Folgen einer diabetischen Ketoazidose bewahren.

Die Kosten für das Screening pro Kind, bei dem entweder ein nicht-diagnostizierter Diabetes oder ein Risiko von über 50 Prozent für einen klinischen Typ-1-Diabetes innerhalb von 2 Jahren festgestellt wird, belaufen sich laut Studie in Deutschland auf etwa 33.400 Euro. Diese, sowie die Kosten für die Immuntherapie, müssten gegen die Kosten für eine mehrjährige Insulintherapie, als auch für die Glukoseüberwachung und andere potenzielle Einsparungen wie Krankenhauseinweisungen abgewogen werden.

 

1Weitere Informationen

Kinder, die positiv für multiple Inselautoantikörper waren, wurden von den Forschenden entsprechend der Kriterien der Juvenile Diabetes Research Foundation (JDRF), der American Diabetes Association (ADA) sowie der Endocrine Society in die Stadien 1, 2 und 3 eingeteilt.

 

Quelle:

Weiss, A. et al.: Progression likelihood score identifies substages of presymptomatic type 1 diabetes in childhood public health screening. In: Diabetologia, 2022 (online)