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Körperliche Aktivität bei Diabetes Typ 2: Weitere Informationen

Wissenschaftliche Unterstützung: Prof. Dr. Christine Joisten

Bewegung tut allen Menschen gut, doch Menschen mit Typ-2-Diabetes profitieren besonders. Denn körperliche Aktivität kann die Insulinempfindlichkeit und die Glukoseaufnahme verbessern. Beide Funktionen sind bei Menschen mit Diabetes eingeschränkt. Zudem sinkt durch körperliche Aktivität das Risiko für Diabetes-Folgeerkrankungen und für einen verfrühten Tod.

Gemeinsam mit der Ernährungstherapie bildet regelmäßige körperliche Aktivität das Zentrum der Behandlung von Menschen mit Diabetes. Ergebnisse aus der Whitehall II-Studie bestätigen ihren Wert. Durch regelmäßige körperliche Übungen sank die Wahrscheinlichkeit, innerhalb der ersten 9 Jahre nach einer Typ-2-Diagnose zu sterben um 39 Prozent. Doch wie genau wirkt körperliche Aktivität auf Menschen mit Typ-2-Diabetes? Profitiert tatsächlich jeder davon? Wie oft sollte man sich bewegen und welche Art von Bewegung ist besonders förderlich?

Wie wirkt körperliche Aktivität im Körper?

Körperliche Aktivität stößt bei Menschen mit Diabetes in der Regel eine Vielzahl von Veränderungen an: Die Muskelmasse wächst, der Blutdruck sinkt, das Fettgewebe verringert sich, die Cholesterinwerte verbessern sich, die Insulinempfindlichkeit steigt und der Glukosespiegel sinkt. Doch was passiert dabei auf Organ- oder Zellebene?

 

Im Muskel –> verbesserte Glukoseaufnahme

Skelettmuskeln spielen eine zentrale Rolle bei der Glukoseverwertung, denn sie nehmen mit rund 85 Prozent den Großteil der Glukose im Körper auf. Sie nutzen den Zucker entweder sofort, um Energie in Bewegung umzusetzen oder legen ihn als Energiedepot im Muskel an. Die Muskeln von Menschen mit Typ-2-Diabetes weisen im Vergleich zu denen gesunder Menschen eine geringere Insulinempfindlichkeit und eine verringerte Glukoseaufnahme auf. Studien belegen, dass körperliche Aktivität diese Einschränkungen mindern kann. So führt Bewegung unter anderem zu einer erheblichen Steigerung der Systeme, die Glukose in die Zelle schleusen – allem voran von GLUT4-Transportern. Dabei scheint es nicht wichtig, ob es Ausdauer- oder Krafttraining ist, sondern im Zentrum steht die Kontraktion als mechanischer Reiz. Hierbei sind es vor allem die höheren Intensitäten, die sich positiv auswirken. Das kann aber zu der irrigen Annahme führen, dass es stets intensive Belastungen sein müssen. Gerade für Neueinsteiger sind auch vermeintlich geringere Reize intensiv.

Gut zu wissen:

Die bedeutsamsten Wirkungen körperlicher Aktivität auf den Diabetes betreffen die Funktion von Enzymen und Hormonen, die den Glukosehaushalt regulieren.

Verbunden mit der Steigerung der Herzfrequenz ist naturgemäß eine Steigerung des Blutflusses. Damit verbunden gelangt auch mehr Glukose zur Muskulatur und wird – wenn die Muskeldepots erschöpft sind – ebenfalls zur Energiegewinnung genutzt. Diese und weitere molekulare Mechanismen beeinflussen den Glukosehaushalt noch bis zu 2 Tage nach der körperlichen Aktivität.

Regelmäßige Bewegung aktiviert zudem die energieliefernden Organellen in der Muskelzelle, die Mitochondrien. Sie sind praktisch die Kraftwerke der (Muskel-)Zellen. Ihre Zahl und ihr Umsatz steigen. Dadurch kann der Muskel Sauerstoff deutlich besser verwerten. Das wiederum kurbelt zusätzlich zu den oben beschriebenen Mechanismen die Insulinaktivität, den Glukoseabbau und die Glukosespeicherung an. Bereits eine moderate Bewegung wie zügiges Spazierengehen lässt die Insulinempfindlichkeit von Menschen mit starkem Übergewicht für bis zu etwa 19 Stunden nach der Aktivität ansteigen.

Im Fettgewebe –> kurbelt die Energieverbrennung an

Die Fettzellen nehmen Fettsäuren aus dem Blut auf, speichern sie als Lipide und geben sie bei Bedarf wieder in das Blut ab, sodass es andere Zellen zur Energiegewinnung nutzen können. Während die weißen Fettzellen nur der Fettspeicherung dienen, besitzen die braunen Fettzellen zahlreiche Mitochondrien und verbrauchen Energie. Regelmäßige körperliche Aktivität reduziert das „schlechte“ weiße Fettgewebe und verbessert gleichzeitig die Aktivität der „guten“ braunen Fettzellen; beziehungsweise die weißen entwickeln sich in Richtung braune, energieliefernde Zellen weiter. Man nennt sie „beige“ Zellen. Der Prozess heißt „browning“ und wird unter anderem durch Botenstoffe aus der Muskulatur, sogenannte Myokine gesteuert. Diese werden auch für eine Steigerung der Insulinempfindlichkeit und anti-entzündliche Wirkung von Bewegung verantwortlich gemacht.

Auf die Bedeutung des Fettgewebes für den Glukosehaushalt weisen Untersuchungen an Mäusen hin. Transplantierten Forscher Fettgewebe trainierter in untrainierte Mäuse, verbesserte sich deren Glukosetoleranz.

In der Leber –> dämpft den Appetit 

Verringert sich durch körperliche Aktivität das Fettgewebe in der Leber, scheint das für Menschen mit Diabetes noch förderlicher zu sein, als wenn es an anderen Stellen schwindet. Erfreulicherweise spricht das Leberfett besonders gut auf Lebensstiländerungen an. Die genauen molekularen Mechanismen sind noch unverstanden. Jedoch ist bekannt, dass durch körperliche Aktivität die Leber vermehrt das Hormon FGF21 ausschüttet. Das Hormon zügelt den Appetit auf Süßes.

Im Gehirn –> fördert Nervenzellverbindungen

Typ-2-Diabetes erhöht das Risiko für Denkstörungen und Demenz. Körperliches Training steuert dem entgegen, indem es die Wände der Blutgefäße stärkt, die Bildung neuer Gefäße anregt und die Entwicklung neuer Nervenzellen fördert. So produziert der Körper als Antwort auf mehr Aktivität vermehrt Wachstumsfaktoren, wie zum Beispiel BNDF, welche die Verbindungen zwischen den Nervenzellen stärken und so Denkprozesse beschleunigen können. In der bekannten Framingham-Studie entdeckten Forschende diesen Zusammenhang jedoch nur bei Menschen mit Diabetes.

Zusätzlich befeuert körperliche Aktivität über eine Schnittstelle im Gehirn den gesamten Stoffwechsel. Das sorgt dafür, dass Bewegung den Appetit reduziert und so zu einer geringeren Nahrungsaufnahme führt.

Hier steht die Grafik für Sie zum Download (pdf) bereit: 


 

Wie viel Bewegung sollte es sein?

Die American Diabetes Association empfiehlt pro Woche 2,5 Stunden moderate bis anstrengende körperliche oder 75 Minuten intensive körperliche Aktivität. Zwischen den Aktivitäten sollten nicht mehr als 2 Tage verstreichen, denn der positive Effekt relativiert sich nach spätestens 2 Tagen wieder.

Müssen es wirklich so viele Stunden sein? Laut der Ergebnisse der Whitehall II-Studie senkte jedwede Zeitspanne körperlicher Aktivität das Risiko für einen verfrühten Tod bei Menschen mit Diabetes. Um sich jedoch auch vor tödlichen kardiovaskulären Ereignissen wie etwa Herzinfarkt und Schlaganfall zu schützen, war zeitlicher Einsatz gefragt. Die Risikosenkung startete erst ab 1 Stunde moderater oder anstrengender Aktivität und erreichte bei 2 bis 3 Stunden in der Woche ein Plateau. Mehr als 3 Stunden Aktivität in der Woche scheinen keinen zusätzlichen Schutz zu bieten.

Gut zu wissen:

Menschen mit Diabetes profitieren am meisten, wenn sie über die Woche verteilt 3 Stunden körperlich aktiv sind.

Welche Bewegung sollte es sein?

Bislang ist unklar, welche Trainingsmaßnahme für Menschen mit Diabetes die beste ist. Vermutlich spielen individuelle körperliche Voraussetzungen und Vorlieben eine wichtige Rolle. Lange empfahlen Experten vor allem Ausdauertraining, etwa Walking und Radfahren. Laut einer Metaanalyse aus dem Jahr 2006 mussten Menschen mit Typ-2-Diabetes 3-mal die Woche eine halbe Stunde Ausdauertraining im Bereich 60 bis 80 Prozent ihrer maximalen Sauerstoffleistung absolvieren, um im Schnitt eine Reduktion des HbA1c-Wertes um 0,7 Prozent zu erzielen.

Doch wie steht es um Krafttraining? Bei Menschen mit Typ-2-Diabetes entdeckten Forscher nach einem 6-wöchigen Krafttraining 3-mal wöchentlich eine deutlich erhöhte Menge des Glukosetransporters GLUT4 im trainierten Muskel. Diesen GLUT4-Boost fanden die Forscher übrigens nicht in einer Vergleichsgruppe mit Menschen ohne Diabetes.

Gut zu wissen:

Nicht nur Ausdauer-, sondern ebenso gut auch Krafttraining verbessert den Glukosehaushalt. Eine Kombination aus beiden entfaltet vermutlich die größte Wirkung.

Laut Studienlage profitieren Menschen mit Diabetes genauso gut von einem Ausdauer- wie von einem Krafttraining. Möglicherweise ist für sie eine Kombination aus Kraft- und Ausdauer die beste Trainingsform

Inzwischen sind aber auch Bewegungsformen wie Tai-Chi und Yoga im Kontext mit Diabetes untersucht worden und zeigen positive Effekte. Am wichtigsten ist es daher, die individuellen Neigungen, aber auch den eigenen Gesundheitsstatus zu berücksichtigen. Und wenn es medizinisch keine Gegengründe gibt, darf auch die Intensität gesteigert werden, zum Beispiel in Form von Power-Walking.

Bewegen, aber wie?

Schätzungsweise 40 Prozent der Menschen mit Diabetes sind körperlich inaktiv, das heißt, sie kommen nicht auf 10 Minuten moderate bis anstrengende körperlich Aktivität pro Tag. Jeder Mensch ist anders zu körperlicher Aktivität zu bewegen. Spazierengehen, Wassergymnastik, Tanzen – die Möglichkeiten sind unerschöpflich, und es kommen immer neue hinzu.

So belegt eine Untersuchung, dass auch Exergaming – Bewegungsspiele im Rahmen einer von Computern erzeugten virtuellen Realität – den Blutglukose-Langzeitwert (HbA1c-Wert) von Menschen mit metabolischem Syndrom, darunter auch Menschen mit Typ-2-Diabetes, senken kann. Der positive Effekt auf den HbA1c-Wert war bei regelmäßigem Exergaming mit minus 0,20 bis minus 0,94 Prozent ähnlich hoch wie mit klassischem Ausdauer- und Krafttraining (minus 0,7 Prozent).

    Gut zu wissen:

    Um mögliche Risiken – wie etwa Hypoglykämie und bedenkliche Blutdruckanstiege – durch körperliche Aktivität zu reduzieren, sollten Menschen mit Typ-2-Diabetes zuvor ärztlich untersucht werden. Dies gilt besonders für Menschen mit insulinpflichtigem Diabetes und für alle, die bereits unter kardiovaskulären Folgeerkrankungen leiden oder sehr hohe Blutglukosewerte aufweisen.

    Neben all diesen Möglichkeiten des Freizeitsports ist es wichtig, Bewegung verstärkt in den Alltag zu integrieren. So können Menschen mit Diabetes ihre in Bewegung verbrachte Zeit deutlich erhöhen, indem sie beispielsweise

    • auf den Fahrstuhl verzichten und die Treppe wählen.
    • eine Haltestelle vor dem Ziel austeigen und den Rest des Weges zu Fuß gehen.
    • nach 2 Stunden (oder noch besser nach 30 Minuten) Sitzen eine Pause machen und kurz umhergehen.

    Tatsächlich reagieren Menschen unterschiedlich auf Bewegung. Wie stark sich etwa die Herz-Lungen-Fitness durch körperliche Aktivität verbessert, hängt von den genetischen Voraussetzungen und anderen Faktoren ab. So stieg in der HERITAGE-Studie die Herz-Lungen-Fitness (gemessen als maximale Sauerstoffkapazität VO2max) bei manchen Teilnehmenden trotz Training nicht an. Oft fanden sich in einer Familie gleich mehrere „Non-Responder“. Es muss aber berücksichtigt werden, dass dies ein methodisches Problem verschiedener Untersuchungen sein kann. Denn wenn der Fokus „nur“ auf den Glukose- oder Lipidspiegeln liegt, sind möglicherweise Aspekte wie Steigerung der Lebensqualität unberücksichtigt geblieben.

    Gut zu wissen:

    Nicht alle Menschen reagieren auf Bewegung mit einer verbesserten Glukosekontrolle. Ein Wechsel der Bewegungsart kann bei Non-Respondern hilfreich sein.

    Wie stark jemand auf körperliches Training reagiert, hängt zum Beispiel auch von seinem Mikrobiom ab, also der Darmflora. So verbesserte sich bei Menschen mit Prädiabetes der Glukosehaushalt und die Insulinempfindlichkeit nur, wenn ihr Mikrobiom bestimmte Eigenschaften aufwies. Übertrugen Forschende bei Mäusen das Mikrobiom von einer Responder-Maus auf eine Non-Responder-Maus, sprach auch sie auf das Bewegungstraining an.

    Je nach Studie reagieren 7 bis 63 Prozent der Menschen auf ein Bewegungsprogramm nicht mit einer Verbesserung der Insulinempfindlichkeit und des Glukosehaushalts. Interessanterweise lässt sich das Ansprechen jedoch mit der Wahl der Trainingsmethode beeinflussen. So sprachen Menschen, deren Körper nicht auf Ausdauertraining reagiert hatte, dennoch positiv auf Krafttraining an – und umgekehrt. Aber auch bei vermeintlichen Non-Respondern, die auf ein Training nicht mit einem verbesserten Glukosehaushalt reagieren, wirkt ein Bewegungsprogramm positiv, etwa durch Senkung des Blutdrucks, des Gewichts, der Blutfettwerte und Erhöhung der maximalen Sauerstoffaufnahmefähigkeit. Möglicherweise werden in der Zukunft spezielle personalisierte Trainingsprogramme für Menschen mit Diabetes dazu führen, dass auch Non-Responder von Bewegung profitieren.

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    Stand: 22.09.2020