„Stark sein bedeutet nicht, nie hinzufallen. Stark sein bedeutet, immer wieder aufzustehen.“
Bastian N. ist ein junger und sportlicher Typ. Er ist 17 Jahre alt, angehender Abiturient und seit August 2014 an Typ-1-Diabetes erkrankt. Zur Behandlung seines Diabetes verwendet er ein CGM-System in Verbindung mit einer Insulinpumpe. In seiner Freizeit ist er Filmemacher, hat einen eigenen YouTube-Kanal und schreibt Blogartikel für verschiedene Formate. So möchte er anderen jungen Menschen mit Typ-1-Diabetes weiterhelfen. 5 Jahre nach der Diagnose berichtet Bastian auch auf diabinfo.de, was er damals empfunden hat, wie er heute mit seiner Krankheit umgeht und wie sie sein Leben beeinflusst hat.
Wie hat sich angedeutet, dass etwas nicht stimmt und wie ist die Diagnose beim Arzt verlaufen?
Bei mir war das eine reine Zufallsdiagnose. Ich war damals 12 Jahre alt und eigentlich aus einem anderen Grund zusammen mit meiner Mutter bei meinem Kinderarzt. Ich fühlte mich fit und spürte zu diesem Zeitpunkt keine körperlichen Anzeichen. Ich hatte zwar sehr viel Durst und musste häufig auf die Toilette, aber es war Sommer und draußen sehr heiß, sodass mir das erstmal gar nicht komisch vorkam.
Doch meine Mutter merkte das viele Trinken am Schluss des Termins kurz gegenüber meinem Kinderarzt an. Weil mein Kinderarzt ebenfalls auf Kinder-Diabetologie spezialisiert ist, leitete er daraufhin alle entsprechenden Untersuchungen ein. Es war dann recht schnell klar, dass es sich um Typ-1-Diabetes handelt.
Was waren deine ersten Gedanken nach der Diagnose?
Obwohl ich mich körperlich gar nicht krank fühlte, war ich sehr geschockt und wusste erstmal nicht, wie es weitergehen sollte. Besonders die Tatsache, dass die Krankheit für immer bleiben würde, überforderte mich. Sowas hatte ich ja vorher noch nicht erlebt. Alle anderen Krankheiten oder Verletzungen, wie eine Schürfwunde am Knie oder eine schlimme Erkältung, gingen schließlich immer wieder weg.
Mein Opa hatte zwar Typ-2-Diabetes, aber Typ-1-Diabetes war in unserer Familie völlig neu. Ganz zu Beginn glaubte ich nicht daran, dass ich das Messen und Spritzen jemals hinbekommen würde. Das hat sich aber in den ersten Wochen nach der Diagnose wieder gelegt.
Wie ging es denn nach der Diagnose weiter? Welche Schritte hat der Arzt eingeleitet?
Die Praxis meines Kinderarztes war glücklicherweise auch Schwerpunktpraxis für Kinder-Diabetologie. Deshalb wurde ich dort in den folgenden 1 bis 1,5 Wochen vormittags ambulant eingestellt und geschult. So musste ich nicht ins Krankenhaus. Ich war sehr froh, dass ich jeden Tag zu Hause schlafen und bei meinen Eltern und Geschwistern sein konnte. Außerdem hatte ich noch ein paar Tage Sommerferien, sodass ich nicht lange in der Schule fehlte.
Wie wurden deine Eltern eingebunden?
Meine Eltern machten die Schulung in der Praxis ebenfalls mit, um alles Wichtige über die Krankheit zu lernen. Doch die Behandlung konnte ich mit 12 Jahren schon komplett alleine durchführen. Sie boten mir natürlich immer ihre Unterstützung an, aber ich wollte es alleine schaffen.
Wie haben deine Mitschülerinnen und Mitschüler sowie die Lehrkräfte reagiert?
Wegen der Diabetes-Einstellung und Schulung fehlte ich nach den Sommerferien noch ein paar Tage in der Schule. Deshalb wussten die meisten schon Bescheid. Bevor ich in den Unterricht zurückgekehrt bin, trafen meine Eltern und ich uns mit meinen Klassenlehrern und meiner Sportlehrerin. Meine Eltern erklärten damals, was passiert war und worauf in der Schule jetzt geachtet werden musste. In diesem Gespräch vereinbarten wir auch, dass ich vor der Klasse selbst von der Diabetes-Erkrankung erzählen würde. Alle waren total verständnisvoll und interessiert. Nach der Schule kamen viele Fragen und manche haben sogar selbst einmal ihren Blutzucker gemessen.
Hat die Pubertät in Bezug auf deine Erkrankung etwas verändert?
Ich weiß nicht, ob die Pubertät oder das Nachlassen der ersten Remissionsphase der Grund war, aber etwa 1 Jahr nach der Diagnose haben meine Blutzuckerwerte stärker geschwankt, als zuvor. Auch heute schwanken meine Werte manchmal sehr stark und zum Teil haben mein Arzt und ich dafür keine Erklärung. Falls die Pubertät der Grund ist, hoffe ich, dass sich das in 5 Jahren gelegt hat.
Gut zu wissen:
Bei Typ-1-Diabetes ist eine Remissionsphase möglich, in der sich nach Beginn der Insulintherapie die Stoffwechselsituation erheblich verbessern kann. Zum Teil wird dann eine Zeit lang nur sehr wenig oder gar kein Insulin benötigt.
Erwachsenwerden bedeutet zudem mehr Selbstständigkeit: Alleine etwas unternehmen, auf Partys gehen, alleine in Urlaub fahren und so weiter. Stand dir der Diabetes dabei im Weg?
Nein, zum Glück überhaupt nicht. Als ich das 1. Mal alleine wegfuhr oder feiern war, war ich bereits sehr mit der Therapie vertraut. Deshalb hatte ich da alle Freiheiten und konnte alles meistern. Natürlich informierten meine Eltern und ich uns vorher. Außerdem tauschten wir uns mit anderen aus, was in solchen Situationen zu beachten ist. Aber der Diabetes stand mir nie im Weg.
Apropos „Austauschen“: Wie hast du zu anderen Menschen mit Typ-1-Diabetes Kontakt geknüpft?
Ein Junge aus der damaligen Grundschulklasse meiner Schwester hat auch Typ-1-Diabetes. Mit ihm und seiner Mutter trafen wir uns zu Beginn öfters und tauschten uns aus. Besonders für meine Mutter war das eine große Hilfe. Ich erfuhr damals außerdem unter einem YouTube-Video von einer Diabetes-WhatsApp-Gruppe. Der Austausch in diesem Chat hat mir sehr geholfen.
Wann und warum hast du dich für eine Insulinpumpe entschieden?
In den ersten Monaten nach der Diagnose hatte ich eigentlich gar keine Lust auf eine Pumpe, obwohl sie häufiger von meinem Diabetes-Team vorgeschlagen wurde. Ein Schlüsselerlebnis war ein Abend mit Freunden. Ich wollte Chips essen und das vorherige Spritzen hat total genervt. Mir wurde bewusst, dass eine Pumpe das Leben erleichtern kann. Gemeinsam mit meinem Diabetes-Team testete ich dann 2 Modelle aus. Der Antrag für die Insulinpumpe an die Krankenkasse wurde zum Glück schnell genehmigt. Also 4 Monate nach der Diagnose bekam ich bereits die Pumpe. Von da an ging der Umgang mit meinem Diabetes auch weiter bergauf.
Legst du die Insulinpumpe manchmal auch ab?
Ja! Wenn ich duschen gehe beispielsweise. Auch Sport mache ich ohne Pumpe, weil sie mich dabei nur stört und ich beim Sport ohnehin kein Insulin benötige.
Interessant! Was für eine Sportart machst du denn?
Leichtathletik! Das habe ich auch schon vor der Diabetes-Diagnose gemacht. Meine Disziplin ist das Ausdauerlaufen. Das trainiere ich 2-mal in der Woche. Zusätzlich mache ich 1-mal pro Woche Krafttraining. Das macht großen Spaß und vom Diabetes fühle ich mich dabei nicht eingeschränkt.
Wie gehst du in der Öffentlichkeit, zum Beispiel auf langen Bahnfahrten oder im Restaurant, mit deiner Erkrankung und der Therapie um?
Das macht mir gar nichts aus und ich gehe damit selbstbewusst um. Seitdem ich die Insulinpumpe habe, muss ich in der Öffentlichkeit ohnehin nicht mehr spritzen. Aber auch vorher war das kein Thema. Es ist mir sehr wichtig, dass ich mich in meinem Alltag nicht verunsichern oder einschränken lasse.
Hast du schon mal eine unangenehme Situation im Alltag mit Diabetes erlebt?
Nein, zum Glück noch nie. Vielleicht wurde ich mal komisch angeschaut, als ich meinen Blutzucker gemessen habe, aber das war’s auch schon.
Denkst du im Alltag über Folgeerkrankungen nach?
Am Anfang nicht wirklich. Da hatte ich die Einstellung: „Besser jetzt ein gutes Leben führen und dafür 5 bis 10 Jahre kürzer, als mich zu sehr zu disziplinieren oder unter Druck zu setzen.“ Mittlerweile ignoriere ich das Thema Folgeerkrankungen aber nicht mehr. Ich habe es im Hinterkopf und versuche eine gute Einstellung zu erzielen. Alle 3 Monate gehe ich ja auch zum Arzt und freue mich immer, wenn ich einen guten HbA1c-Wert erziele. In meinem Alter ist das Thema Folgeerkrankungen dennoch sehr abstrakt und wenig greifbar.
Hast du denn schon mal eine gefährliche Situation mit Diabetes erlebt?
Das kommt drauf an, was mit „erlebt“ gemeint ist. Denn selbst erinnere ich mich kaum an diese Situation. 2 Jahre nach der Diagnose und ein weiteres halbes Jahr danach war ich morgens so stark unterzuckert, dass ich nicht bei klarem Bewusstsein war. Mein Vater weckte mich zur Schule, doch ich wurde einfach nicht wach. Bei stärkeren Weckversuchen öffnete ich zwar meine Augen und erzählte etwas, doch erinnern kann ich mich daran nicht. Meine Eltern überprüften meinen Blutzucker. Er war so niedrig, dass sie mir die Glukagonspritze gaben. Dagegen wehrte ich mich massiv, ohne dass ich etwas davon mitbekam.
Das war für uns alle ein beängstigendes Erlebnis. Ich selbst hab mich sehr hilflos gefühlt, besonders, weil ich keine Erinnerung an den Vorfall hatte.
Welche Schlüsse habt ihr aus dem Erlebnis gezogen? Was habt ihr danach verändert?
Direkt danach sind wir erstmal zu meinem Arzt gefahren. Dort stellte sich heraus, dass eine Unterzuckerung durch Sport und die andere durch eine zu hohe Dosis Korrekturinsulin verursacht wurde. Für mich war das sehr überraschend, weil ich auch schon lange vor diesem Vorfall abends Sport gemacht und immer die gleiche Korrekturregel angewandt habe.
Um weitere Unterzuckerungen zu vermeiden, reduzierten wir das Insulin für die Nacht. Meine Eltern und ich stellten uns nachts außerdem den Wecker, um meine Blutzuckerwerte zu überprüfen.
Später habe ich auch ein CGM-System bekommen, das mich vor weiteren Unterzuckerungen warnt und mit der Insulinpumpe zusammenarbeitet. Wenn jetzt meine Blutzuckerwerte sehr niedrig sind, gibt die Insulinpumpe weniger Insulin ab.
Vermisst du durch den Diabetes etwas in deinem Leben?
Nein, im Gegenteil! Die Krankheit hat mein Leben eher bereichert. Ich könnte mir das Leben ohne Diabetes nicht mehr vorstellen. Durch die Diagnose und den Umgang mit der Krankheit ist mein Selbstbewusstsein gewachsen. Die Krankheit erfordert ja eine Menge Selbstdisziplin und Verantwortung. Ich habe außerdem gelernt, dass ich alles schaffen kann, auch wenn die Situation am Anfang aussichtslos erscheint.
Klar ist aber natürlich auch: Wäre eine Heilung möglich, würde ich diese nicht ablehnen!
Siehst du noch andere Chancen in der Erkrankung?
Ja, ich habe durch den Diabetes einige Chancen bekommen, die ich vielleicht ohne nicht erhalten hätte. Filmen hat mir immer schon viel Spaß gemacht. Aber durch einen Kurzfilm über meine Diabetes-Diagnose durfte ich sogar am Deutschen Jugendfilmpreis teilnehmen.
Jetzt habe ich einen eigenen YouTube-Kanal und blogge über meinen Diabetes. So habe ich auch gelernt, vor der Kamera zu stehen, mit verschiedenen Menschen in Kontakt zu treten und sie mit meinen Botschaften zu erreichen.
Aber gibt es nicht auch Tage, an denen du die Diabetes-Erkrankung gerne abgeben würdest?
Mir ist es wichtig, die positiven Dinge im Leben zu sehen. So möchte ich auch anderen zeigen, dass die Krankheit kein Weltuntergang ist, dass das Leben weitergeht und weiterhin sehr schön sein kann. Dennoch habe natürlich auch ich mal schlechte Tage. Dann nervt mich die Therapie und ich schaffe es einfach nicht, Selbstdisziplin aufzubringen. Oder ich verzweifle an sehr hohen Blutzuckerwerten, die ich mir nicht erklären kann. Das ist aber auch ganz normal, denke ich.
Gibt es Situationen, in denen es dir besonders schwerfällt, Selbstdisziplin aufzubringen?
Ja, wenn meine Werte nachts sehr hoch sind oder ich nachts den Katheter der Insulinpumpe wechseln muss, kann ich dafür häufig keine Selbstdisziplin aufbringen und schlafe stattdessen weiter. Meist kümmere ich mich erst am nächsten Morgen darum.
Und wie gehst du mit solchen Situationen um?
Ich blende sie aus. Ich möchte mich so wenig wie möglich vom Diabetes einschränken lassen und im Leben auf nichts verzichten. Mein Grundsatz ist: „Passe nicht dein Leben an den Diabetes an, sondern den Diabetes an dein Leben!“. Das heißt wenn ich beispielsweise Lust auf Süßigkeiten habe, gönne ich mir die Süßigkeiten. Ich versuche daran dann meine Insulindosis und meine Blutzuckerwerte anzupassen. Ich glaube, das ist mein Erfolgsrezept. Genau deshalb kann ich so positiv auf die Krankheit blicken.
Danke für diese ehrlichen Gedanken! Als letztes noch ein paar Fragen zum Erwachsenwerden: Machst du schon deinen Führerschein?
Ja, meinen Führerschein habe ich sogar bereits bestanden! Weil ich noch nicht volljährig bin, begleiten meine Eltern mich derzeit noch beim Fahren.
Das Autofahren hat mir verdeutlicht, wie gefährlich Unterzuckerungen sein können, auch für andere Personen. Beim Autofahren muss man deshalb besonders auf sich achten. Das ist übrigens auch noch ein Bereich, in dem der Diabetes sehr nerven kann. Denn es kostet einfach sehr viel Zeit, wenn man aufgrund von Unterzuckerungen anhalten und etwas essen muss.
Für den Führerschein selbst musste ich angeben, dass ich an Typ-1-Diabetes erkrankt bin. Außerdem musste ich ein paar ärztliche Bescheinigungen einreichen, um zu zeigen, dass ich gut eingestellt und fahrtauglich bin. Auch mein Fahrlehrer und mein Prüfer wussten Bescheid.
Glückwunsch zum Führerschein! Und hast du bestimmte Zukunftspläne bezüglich Berufswahl, die von deinem Diabetes beeinflusst sein könnten?
Vor meiner Diagnose wollte ich immer Polizist werden. Deshalb informierte ich mich nach der Diagnose auch direkt bei der Polizei. Unmöglich ist eine Ausbildung bei der Polizei auch mit Diabetes nicht, aber es erfordert einigen Mehraufwand als bei gesunden Menschen.
Mittlerweile habe ich ja eine neue Leidenschaft fürs Filmen. Deshalb möchte ich nach der Schule Medien- und Filmproduktion studieren. Da ist meine Diabetes-Erkrankung kein Problem.
Eine Abschlussfrage: Was möchtest du anderen Menschen mit der Diagnose Typ-1-Diabetes mit auf den Weg geben?
Ich habe ein Lebensmotto, dass mir selbst nach meiner Diagnose sehr geholfen hat und nach dem ich auch heute immer noch lebe: „Stark sein bedeutet nicht, nie hinzufallen. Stark sein bedeutet, immer wieder aufzustehen.“ Und genauso ist es mit Diabetes. Die Diagnose Typ-1-Diabetes bleibt für immer. Das kann man leider nicht mehr ändern. Wichtig ist, dass man dann aus dieser Situation das Beste macht und positiv in die Zukunft blickt.
Ich glaube, dass jeder Mensch mit Typ-1-Diabetes ein tolles Leben führen und sich mit der Erkrankung gut arrangieren kann. Ich weiß, dass die ersten Wochen bis Monate Angst machen und die Situation aussichtslos wirkt. Aber jeder kann es schaffen, sich damit zu arrangieren. Wichtig ist, sich nicht unter Druck setzen zu lassen und die Dinge nicht zu ernst zu sehen. Die Balance zwischen Diabetes-Behandlung, den perfekten Werten und einem normalen unbeschwerten Alltag ist entscheidend. Dazu gehört auch, sich mal eine Auszeit vom Diabetes zu gönnen und bewusst zu entspannen.
Ich mache dann einfach genau das, worauf ich gerade Lust habe. Oder ich esse beispielsweise genau das, worauf ich Lust habe. Dann mache ich mir auch keine Vorwürfe, wenn ich es nicht schaffe, dafür das passende Insulin zu berechnen. Beim nächsten Mal läuft es bestimmt wieder besser.
Danksagung:
diabinfo.de hat sich mit Bastian N. unterhalten und der Gesprächspartner hat der Veröffentlichung zugestimmt. Hiermit bedankt sich diabinfo.de herzlich für die Zusammenarbeit.
Der Bericht schildert Ausschnitte aus dem persönlichen Umgang und dem Leben mit Typ-1-Diabetes. Es handelt sich nicht um Empfehlungen von diabinfo.de.